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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Luethgen, Eugen: Stilverwirrung im Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0114

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Formen der Verlust der handwerklichen Fähigkeiten
vereinigt. Die geschulten und geschickten Handwerks-
meister, die in dem Verzeichnis der Stände von Paris,
das Percier zusammenstellte, unmittelbar hinter der
Klasse der Künstler als »Artisans« aufgeführt werden,
diese Klasse von Menschen gab es nach der Revo-
lution nicht mehr. Sie steckten in den napoleonischen
Heeren. Die Handwerkskräfte aber, die alten und
verbrauchten, die in Paris zurückgeblieben waren, be-
durften der Führer. Und zu dieser Führerrolle
schwangen sich die Zeichner, Maler, Radierer auf, die,
in ihrem eigenen Gebiet beschäftigungslos, nunmehr
Entwürfe über Entwürfe für das Kunstgewerbe her-
stellten. Und so beginnt die unheilvolle Trennung
zwischen Hersteller und Künstler, die um so verderb-
licher ist, als die meisten Maler und Zeichner keinerlei
Kenntnis von den eigentlichen Herstellungsbedingungen
besaßen.

Ein Freund dieser Maler, Pujoulx, sieht die Sache
freilich anders an — vom Standpunkte seiner Zeit.
Und gerade das ist hier bedeutsam: »Die Möbel,«
sagt er, »die innere Ausschmückung der Gemächer,
die Tapeten, Vorhänge, das alles steht jetzt unter der
Obhut des guten Geschmacks. Wir haben unserem
Unglücke diese angenehme Wandlung zu verdanken.
Wären Eure Staffeleien, Freunde, mit Bildern besetzt
gewesen, so wäret Ihr nimmermehr aus Eurem Atelier
in die Werkstatt der Tapezierer, Tischler, Former,
Gießer gegangen, um ihnen über Verwendung der
Stoffe, Schnitt der Vorhänge, Linienharmonien An-
weisungen zu geben. Ihr wäret nie in die Tapeten-
fabriken gegangen, um Muster zu entwerfen, nie in
die Arbeitssäle der Industriellen.« Es genügt. Von
diesem Einfall der Laien in ein ihnen fremdes Gebiet
hat sich das Kunstgewerbe bis heute nicht erholt.

Die letzten Spuren der dem Kunstgewerbe eigenen
Ausdruckswirkungen gingen verloren.

Aber noch mehr. Diese Anschauung fand die
regste Unterstützung des Staates. Portiez, ein Mit-
glied des Konvents, verlangt im Namen des Aus-
schusses für den öffentlichen Unterricht die Förderung
der Zeichenkunst. Denn die Zeichenkunst, meint er,
sei die Lehrmeisterin für fast alle industriellen Künste.

Und Gregoire stellt 1794 den Antrag zur Grün-
dung eines Industriemuseums und einer Industrie-
schule, um, wie er sagt, die wissenschaftliche Grund-
lage für Kunst und Industrie zu gewinnen. Denn
Frankreich müsse alle Luxusgegenstände selbst her-
stellen. Er brauche nur die Herstellungsart zu lernen,
um dazu die Kraft zu haben. Dazu Museum und
Schule. Schon 1795 waren beide vorhanden.

Als es nun noch gelang, die Jugend und die
Frauen für diese kunstindustrielle Bewegung zu ge-
winnen, war der Erfolg dieses kapitalistischen, in den
Deckmantel der Kunst eingehüllten Wollens gesichert.
Schon heißt es, daß der Sinn für alle diese Dinge
von Tag zu Tag zunehme; daß es immer schwieriger
werde, den Handwerker vom Künstler zu unterscheiden.
Denn der Handwerker, genauer gesagt der Kaufmann,
besaß schon seine eigenen Zeichner, die im Geschmack
der Zeit und in allen Stilarten griechisch, römisch,
ägyptisch zu entwerfen verstanden.

Und das letzte. Schon hat die Form geringeren
Wert als die Güte und Vortrefflichkeit der technischen
Leistung. Das Außergewöhnliche, das Seltsam-Wunder-
liche wird angestrebt, um die technische Geschick-
lichkeit zu erweisen.

Frau von Genlis entwirft in ihren Erinnerungen,
die allerdings erst 1825 veröffentlicht wurden, das
bezeichnendste Bild von dieser neuen Kunst. Sie sagt:

Anneliese Wildeman, Bonn

Berg der Verheißung Anneliese Wildeman, Bonn

Lebensquell

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