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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

DOI Artikel:
Jessen, Peter: Reisestudien, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0032

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-HHHH

New York, Bibliothek der

Columbia-Universität

täuschen. Diese Art veralteter Anstalten wird eben jetzt
gründlich ausgestäubt durch neue, weit- und kunster-
fahrene Männer. Ich erlebte an einem erheiternden Bei-
spiele in einem Museum der Oststaaten die mutigen
Kämpfe eines solchen Reformers gegen den Unge-
schmack seiner Kollegen und deren Hintermänner.

Die Muster für alle neuen Aufgaben stellen heute
die beiden großen Museen von New York und Boston
auf. Beide sind erst nach den Einheitskriegen, gegen
1870, begründet worden. In New York durch den
Kunstausschuß eines führenden Klubs, des Union
league club, auf die Anregung von Künstlern, Schrift-
stellern und Geldleuten. Nur wenige Jahre mußten
sie sich in dürftigen Mietsräumen behelfen, schon 1880
ward ihnen aus öffentlichen Mitteln im Central Park
ein eigenes Haus gebaut, der Kern, um den sich seither
von Jahrzehnt zu Jahrzehnt neue Flügel gelegt haben. Das
Museum von Boston besaß früh ein ansehnliches Haus
in der Stadt, neuerdings seit 1909 eine umfangreiche,
durch immer neue Stiftungen vergrößerte Gebäude-
gruppe draußen nahe dem neuen Park. In Chicago
liegen für einen riesigen Neubau seit Jahren die Mil-
lionen von Mr. Marshall Field bereit. Und aus vielen
anderen Städten wissen wir von vergleichsweise ähn-
lichem Aufwand.

Allerdings sind diese und andere Bauten nicht
durchweg erfreulich. Sie kranken an Monumentalität.
Selbst neue Erweiterungen müssen sich einem vor
Jahren aufgestellten Gesamtschema unterordnen, zum
Ärger modern gesonnener Beamten. Auch im Innern
herrscht mehr der Architekt, der sich selber ein Denk-
mal setzen möchte, als der Fachmann, dem es um
die Kunstwerke zu tun ist. Ich beobachtete, wieviel
Energie und Humor ein tapferer Kollege einsetzte, um
einen eben bezogenen Prachtbau seines »geschmack-
verbildenden Charakters zu entkleiden«. Um so
wohltuender wirkt die sachliche Raumgestaltung und
Aufstellung jener ägyptischen Säle und des fein
empfundenen Flurs der islamischen Töpferkunst in
New York, die unsere Abbildungen ohne die Farben-

stimmung leider nur unzulänglich andeuten können.
Für eine geschmackvolle künstliche Beleuchtung machte
man eben in Boston eingehende Versuche mit ver-
schiedentlich abgeblendetem Licht, frei hängenden
Bogenlampen, verdeckten Reihen von Glühkörpern und
Oberlicht, das von außen durch die Deckenverglasung
niederschien. Ob die ungeheuren Kosten der An-
lage und des Betriebes sich lohnen würden, ward
mir zweifelhaft, wenn ich anderwärts an solchen
Abenden die weiten Säle als einziger Besucher durch-
wanderte.

Die Verwaltung dieser führenden Museen ist eben
jetzt in lebhaftem Fluß. Die Kollegen pflegten im
engeren Kreise gern die neuen Grundsätze zu er-
örtern, oft in lehrreichem Zusammenhang mit Fragen
auch der politischen Verwaltung und Verfassung, denen
man in Amerika nicht leicht ausweicht. Wo die Samm-
lungen völlig das Werk von Stiftern sind, liegt es
nahe, daß diese Wohltäter auch zu regieren wünschen.
Nun gilt die Selbstverwaltung, dieses Axiom des 19.
Jahrhunderts, selbst in der amerikanischen Republik
nicht mehr als unanfechtbar. Es hat mich überrascht,
aus dem Munde eines Amerikaners Ausführungen
folgender Art zu hören. Die Selbstverwaltung, meinte
er, ist eine notwendige Reaktion gewesen gegen die
Despotie in dem Europa des 18. Jahrhunderts. Aber
das 20. Jahrhundert verlangt neue Formen öffentlicher
Arbeit. Wie in Staat und Gemeinde, so kann auch in den
Museen heute kein Laie die immer wachsenden Sonder-
gebiete beherrschen. Man bedarf dazu der gründ-
lichsten Fachkenntnisse, die nur durch unablässige
Erfahrung und Übung erworben und erhalten werden.
Man braucht Männer von Beruf. Diese beamteten Fach-
leute sollen unterstützt und kontrolliert werden durch
einsichtige Laien. Man darf nicht mehr darauf rechnen,
daß eine genügende Zahl wirklicher Fachkenner Zeit finde,
die Aufgaben irgendeiner Verwaltung aus Liebhaberei
in die Hand zu nehmen. Wer heute etwas leistet, pflegt
seinen Ehrgeiz daran zu setzen, sein Werk auszubauen,
so lange seine Kräfte reichen. Zur Selbstverwaltung —

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