Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

DOI Artikel:
Jessen, Peter: Reisestudien, [3]
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0055

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Concord (Mass.)

Mansion-Kirche, 1864

teten Balken früh mit Brettern oder Schindeln verkleidet. Auch
später brauchte man mit Holz nicht zu geizen; in Amerika
hat sich auch in behäbigen Orten der Holzbau bis tief in das
19. Jahrhundert gehalten, weit zäher als in Europa. Der holz-
sparende Fachwerkbau ist selten. Dagegen wurden die Ver-
sammlungshäuser, die bei Überfällen der Indianer auch als
Wehrbauten aushalten mußten, früh auch aus Stein gebaut. Der
heimische Ziegelbau empfahl sich vor allem in dem heißeren
Süden; dorthin hat man früh Ziegel als Ballast verschifft. Aber
bald gab es Ziegeleien auch in Amerika selber; um 1700 zählte
man in Boston ihrer schon 25; gegen 1800 ist es eine breit
entwickelte Industrie. Man zieht Ziegelrohbau vor, kannte
aber auch den Putz.

Die Erbauer sind zunächst anspruchslose Handwerker ge-
wesen, wie sie mit den übrigen Siedlern herüberkamen. Ihre
Namen erfährt man nur selten. Aus der Heimat haben sie
einzelne Besonderheiten mitgebracht, die Holländer einiges in
ihr einstiges Neu-Amsterdam, das 1630 gegründet und 1664
von den Engländern nach ihrem noch heute gangbaren Ge-
brauch während des europäischen Krieges besetzt worden ist
und beim Friedensschlüsse in New York umgetauft wurde;
ebenso die Deutschen nach Germantown in Pennsylvania. Im
allgemeinen aber kommt der Ursprung und aller Fortschritt
im Verlauf der kolonialen Baukunst Amerikas aus England.
Dort hatten die einwandernden Handwerker und Baumeister
ihre Lehrzeit durchgemacht. Für alle öffentlichen Gebäude
ward die Formensprache der führenden englischen Architekten maßgebend. Für die Einzelheiten fand sich
eine Fülle von Vorbildern in der langen Reihe der englischen Kupferwerke, wie sie sich heute beispielsweise
in der Ornamentstichsammlung der Bibliothek des Kunstgewerbemuseums in Berlin beisammen finden, den
Gibbs, Langley, Ware, Chambers, Richardson, Adam u. a., und in den Möbelbüchern des Chippendale,
Heppelwhite, Sheraton. Erst langsam heben sich aus den bescheidenen Handwerksmeistern der jungen Staaten
anspruchsvollere Persönlichkeiten heraus, die auf den Namen Architekt Anspruch machen, wie der feinsinnige
Ornamentist Mclntire in Salem (Massachusetts) und der reife Charles Bulfinch, der erste in Amerika selbst
geschulte Künstler, der das edle Staatshaus in Boston und später die Ostfront des Kapitols in Washington
gebaut hat. Es ist ein Kennzeichen kolonisatorischer Selbständigkeit, daß sich auch Liebhaber mit Erfolg
als Architekten versuchen: George Washingtons erster Staatssekretär, der spätere Präsident Thomas Jefferson,
hat sich 1772 in seiner Heimat Charlottesville ein sehr eigenartiges Landhaus, Monticello, erbaut und gegen
Ende seines Lebens 181g—1826 dortselbst die ansehnlichen Gebäude der Virginia-Universität aufgeführt, die
beide zu den besten Beispielen des Klassizismus in Amerika gehören. Ein Arzt, Dr. William Thornton, hat
1793 den ersten Plan zu dem Kapitol in Washington geliefert und 1799 den berühmten Landsitz des ersten

Präsidenten, Mount Vernon, umgebaut.

Aus solch gemeinsamer Überlieferung sind
im Laufe des 18. Jahrhunderts bis gegen die
Mitte des 19. Jahrhunderts hin Stadtbilder von
ganz einheitlichem, reizvollem Gepräge ent-
standen. Ich habe gern vor den alten Ansichten
verweilt, die als Gemälde, Stich und Steindruck
diese damals so jungen Städte festgehalten haben;
sie werden heute eifrig gesammelt und an zu-
gänglichen Stellen ausgestellt, nicht nur in Museen,
sondern auch in öffentlichen Bibliotheken, wie
etwa in New York gleich am Eingang der großen
Free public library; selbst im Museum von San
Francisco fand ich eine reichhaltige Sammlung
von älteren Ansichten der jungen, schon so oft
umgestalteten Stadt. Wie die meist geschlosse-
nen Reihen bescheidener Wohnhäuser sich an
den Buchten und Flüssen dehnen, von zierlichen
Kirchtürmen überragt, wie an den stillen Plätzen
hinter Bäumen und Rasenflächen die anspruchs-
losen Fassaden einiger Gemeindebauten aufragen,

7*

Salem (Mass.)

Chestnut Street

— 43
 
Annotationen