Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

DOI Artikel:
Hillig, Hugo: Kunstgewerbliche Symbolik, [4]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0079

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Alphabet, in dem die Lautzeichen bekanntlich Zahlwerte
hatten. Alpha war das erste, Omega das letzte Lautzeichen
des griechischen Alphabets. Beide Symbole bedeuten
den ganzen Umfang alles Seins, in der christlichen Sym-
bolik vom Anfang bis zum Ende eine Verschlingung in
Gott; alles Sein vom Ursprung an bis zum Sterben ist ge-
dacht als von Gott erfüllt, von ihm abhängig, ruht in seinen
Händen. So streckt sich die Deutung auch bis zur Vor-
stellung vom ewigen Wesen Gottes.

Das Alphabet hat in der katholischen Kirche noch eine
andere, wenn man will, symbolische Bedeutung, nämlich
bei einer Zeremonie, die heute noch im römischen Ponti-
ficale vorgeschrieben wird und noch in Kraft steht. Bei
der Einweihung eines katholischen Gotteshauses (wobei
an den Innenwänden auch die sogenannten Konsekrations-
kreuze angemalt werden), streut man auf den Kirchen-
fußboden zwei Aschenstreifen, die kreuzweise je zwei
gegenüberliegende Ecken der Kirche verbinden. In diese
Aschenstreifen schreibt der Bischof, »nachdem er Mitra
und Hirtenstab empfangen hat, von der Kirchenecke zur
Linken des Eintretenden anfangend, mit dem Ende des
Stabes das griechische Alphabet auf die Asche, wobei die
Buchstaben so weit auseinander zu ziehen sind, daß sie
den ganzen Raum einnehmen«. Auf den anderen Aschen-
streifen wird, von der rechten Ecke aus, das lateinische
Alphabet in derselben Weise eingezeichnet. Dann wird
die Beschwörungsformel ausgesprochen, die den Teufel
und alle Dämonen bannen soll, die also denselben Zweck
hat, wie die Konsekrationskreuze. Dieser symbolischen
Zeremonie liegt ein uralter heidnischer Gebrauch zugrunde,
bei dem das Alphabet die symbolischen Beschwörungs-
zeichen lieferte; nicht nur bei den alten Griechen und
Römern (in Pompeji sind an den Hauswänden viele solcher
Abc-Inschriften gefunden worden), sondern auch bei den
Ägyptern, den Juden, den Indern war er bekannt, und auch
die alten Germanen brachten auf Schwertern, Spangen,
Brakteaten und Steinen Runenalphabete an. Bei der weiten
Verbreitung dieses sogenannten Abc-Zaubers mußte sich
natürlich die junge christliche Kirche mit ihm auseinander-
setzen. Zuerst trat sie ihm feindselig entgegen. Nach
Ammianus, einem römischen Geschichtsschreiber, wurden
zwei Römer der Folter unterworfen, weil sie mit dem
Alphabet Zauberei getrieben haben sollten. Aber dann
sind solche Zauberalphabete auch in Märtyrergräbern ge-
funden worden und sogar Taufgefäße und mittelalterliche
Glocken haben solche Alphabetinschriften, die man als
Blitzbeschwörungsformeln gedeutet hat. Damit klingt auch
die alte Glockeninschrift zusammen: Vivos voco, Mortuos
plango, Fulgura frango (Die Lebenden ruf ich, die Toten
beklag ich, die Blitze brech ich). Im Englischen bedeutet
heute noch das Wort spell als Zeitwort: buchstabieren,
und als Hauptwort: Zauberei. Von hier aus läßt sich viel-
leicht auch die Symbolik des Alpha und Omega besser
verstehen.

Ein anderes kirchliches Schriftsymbol ist das Labarum,
die Verbindung von einem lateinischen P mit einem latei-
nischen X, oft auch in früherer Zeit mit einem römischen

£fca

Kreuz an Stelle des X oder an Stelle des P mit einem
senkrechten Strich, der durch das Andreaskreuz geht. Auch
kommt das Labarum nicht selten vor zwischen Alpha und
Omega. Die Deutungen schwanken; manchmal wird es
als das Monogramm Christi ausgelegt und auch in dieser

Deutung angewendet, besonders zwischen Alpha und
Omega. Aber nach anderen Deutungen soll es das Feld-
zeichen, auch das Siegeszeichen Kaiser Konstantin d. Gr.
sein, dessen Standarte auf einer langen Stange dieses
Zeichen als Spiize gehabt haben soll. Das Labarum
kommt seit dem Anfange des 3. Jahrhunderts vor, auffallend
oft als Verzierung griechisch-römischer Lampen, (S. Lübke-
Semrau, Grundriß der Kunstgeschichte, II. Band, 12. Aufl.)
Auf kirchlichen Paramenten wird heute noch das I H S
sehr häufig angewendet. Diese drei Lautzeichen sind die

ersten drei des griechisch geschriebenen Namens Jesu«
III20Y2. Es kommt aber auch I H C vor. Dieses Zeichen
wird das Monogramm Christi genannt. Aber es gibt auch
noch andere Auslegungen, nach denen dieses Schriftsymbol
heißen soll: Jesus Hominum Salvator oder Jesus Heiland
Seligmacher, oder Jesus Hartator Sanctorum oder auch
In Hoc Salus; nach einer anderen, weiter verbreiteten Les-
art: In hoc signo (in diesem Zeichen), eine Anlehnung an die
bekannte Legende, daß in einer Schlacht dem oströmischen
Kaiser Konstantin dieses Schriftzeichen zum Trost in einer
kritischen Lage erschienen sei. Seit 1541 ist dieses Zeichen
das Monogramm der Jesuiten, die auf den Querbalken des
H noch ein Kreuz setzten.

Zu den zu kirchlichen Symbolen gewordenen In-
schriften oder Schriftzeichen darf man auch das I.N. R. I.
setzen. Nach den evangelischen Schilderungen der Kreu-
zigung auf Golgatha soll es die Inschrift des Zettels sein,
den die römischen Soldaten an das Kreuz Christi hefteten.
Nach Johannes 19,20 war die Inschrift dreifach, nämlich
in hebräischer, griechischer und römischer Sprache; sie soll
lauten: Jesus Nazarenus Rex Judeorum, sie ist also spöttisch
gemeint. Aber die christliche Kirche hat diese Inschrift
schon seit langer Zeit unter ihren Symbolen geführt; sie
ist das erstemal datiert in Würzburg 1279.

Bei dieser Gelegenheit sei an eine Regel erinnert, die
bei der Darstellung der Gesetzestafeln Mosis beachtet
werden muß, wenn diese der kirchlichen Ikonologie ent-
sprechen soll. Die ersten drei Gebote müssen, weil sie
sich auf Gott beziehen, auf der ersten Tafel stehen und
auf der zweiten Tafel müssen dann die sieben anderen
von den Pflichten der Menschen gegen ihre Nächsten
sprechenden Gebote ihren Platz finden.

Zu den Schriftsymbolen, weil sie innerhalb der Schrift
gebraucht werden, gehören ferner der Stern als Zeichen
der Geburt und das Kreuz als Zeichen des Todes. Das
Kreuz ist in dieser Anwendung unzweifelhaft christlichen
Ursprungs, dagegen ist der Stern sicher eine Anleihe aus
den mystischen Symbolen der Astrologie, die die Stern-
figur entweder aus dem Pentagramm oder aus dem Hexa-
oder Oktogramm abgeleitet haben dürfte; vielleicht fließt
mit dem Sternbild auch das strahlige Sonnenbild zusammen,
das sich schon in vorchristlicher Zeit, u. a. auch als Nimbus
des Helios, ausgebildet hatte. Der Stern am Himmel ist
aber nur eine optische Täuschung, die auf einer gewissen
Eigenschaft des Auges beruht. Es ist aber auch eine
Deutung des Geburtssternes möglich als eine Erinnerung
an den legendären Stern zu Bethlehem, der freilich sehr
oft als Komet dargestellt wird. In alter Zeit war nämlich
der Morgenstern auch ein Symbol der Mutter Maria. Für
die Intarsien der friesischen Bauernkunst ist ein mehr-
farbiger Stern charakteristisch.

Ferner sei noch an einige Schriftsymbole erinnert, die

— 63 —
 
Annotationen