Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

DOI Artikel:
Jessen, Peter: Reisestudien, [4]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0098

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Tempel des Jyeyasu

Nikko

schurei. Aus diesen Nebenergebnissen meiner Reise später
einige Beobachtungen.

Das eigentliche Reiseziel war die Kunst des alten Japan,
Man wird erst drüben völlig gewahr, wie sehr der Weg zu ihr
nur über das Volkstum führt, soweit es sich in die Gegenwart
gerettet hat, über die unmittelbare Anschauung von Land und
Leuten. Kein Bücherstudium kann diese Anschauung auch nur
zur Hälfte ersetzen. Kunst und Kunsthandwerk der Japaner sind
ja zu allen Zeiten der persönlichste Ausdruck des Volkslebens
und der Volksseele gewesen. Daher der unvergleichliche Ge-
nuß, das Glücksgefühl, das dem mit der einstigen Kunst Ver-
trauten jede Stunde in Japan zum Feste macht. Auf Schritt
und Tritt sprechen ihn liebgewordene Gestalten an, wie aus
Todesschlaf zum Leben erwacht. Und durch sie beginnen die
Kunstwerke zu reden; mühsam Erlerntes wird selbstverständlich,
Unbegreifliches sonnenklar. In diesen Grundlagen, den »Realien«,
wie der klassische Archäologe sagen würde, war bis dahin dem
Gelehrten jeder jüngste Kaufmann oder oberflächlichste Welten-
bummler überlegen, die ihr Stern nach Japan verschlagen hatte.
Darum kann der Kunstfreund nicht umhin, auch die scheinbar
einfachen Äußerungen des volksmäßigen Lebens in Betracht zu
ziehen und über sie vorweg einiges zu berichten, was auf die
Kunst der Vergangenheit ein Licht wirft und die Probleme des
gegenwärtigen und künftigen Volksgeschmackes erläutern hilft.
Der tiefe Zwiespalt zwischen einst und heute drängt sich ja
am schärfsten und schmerzlichsten dem Auge des Kunstfreundes
auf. Immer wieder fragt man sich: wie würde dieses Wunderland
aussehen ohne die Sintflut westlicher Unkunst? Was vom Alten ist hoffnungslos verloren, was behauptet sich,
wie stark und aussichtsreich sind die Kräfte der Abwehr, die das Land, die Tracht, das Hausleben, die Kunst
zu schützen suchen?

Ein Glück für den erwartungsvollen Ankömmling, daß er nicht, wie in Venedig oder Rom, in einen
qualmenden Allerweltsbahnhof einläuft. Er begrüßt das Inselland aus reiner Seeluft heraus. Ich hatte eine
siebzehntägige Sonnenfahrt von San Francisco her über Honolulu hinter mir, köstliche Mußetage, um
frühere Studien aufzufrischen und aus Basil Hall Chamberlains meisterlichem Handbuch einige entfernte Vor-
stellungen der japanischen Umgangssprache zu gewinnen. An einem frühen Junimorgen kam Japan in Sicht,
von duftigen Wolken und Nebeln umhüllt. Langsam zeichnen sich die Bergkuppen, bald weich gerundet und
dicht bewaldet, bald in der scharfen Kegelform, die uns in jedem ragenden Gipfel den Fuji vermuten läßt.
Durch das Fernglas unterscheiden wir die ersten Siedelungen, graue Fischerdörfer, deren strohgedeckte Hütten
in den Schluchten und an den Hängen hochklettern. Und nun das erste Bild des Volkstums: ein Fischer-
boot schaukelt weit vor der Küste, flach, mit dem
eckigen braunen Segel. Darauf drei Fischer von
unverfälscht japanischer Gestalt, barbeinig, im
Lendenschurz, ein kurzes Arbeitskleid über den
Schultern, ein Kopftuch umgeknotet, genau die
Umrisse, die uns so oft in den alten Holzschnitten
angesprochen hatten. Ich nahm sie als freund-
liches Sinnbild dafür, daß ich wenigstens im
Leben des gemeinen Mannes die alte Kultur
finden werde, die ich zu suchen kam.

Gleich hinter Yokohama und seinen peinlich
banalen Geschäftsvierteln hatte ich ein zweites
Bild ursprünglichen Volkswesens vor Augen, die
Bauern auf den Reisfeldern. Da stehen sie bloßen
Fußes in ihren kleinen, sumpfigen, umwallten Be-
zirken, meist tief gebückt, um mit der Hacke und
den Händen im Schlamm zu wühlen, lockere Reis-
strohdecken als Regenschutz über die Rücken,
die runden spitzen Hüte auf den weit vorge-
beugten Köpfen, in Trachten und Gebärden restlos
aus uralter Überlieferung geprägt, sie selber und
ihre Tracht völlig den gegebenen Stoffen, hand- Priester mit Götterschrein

— 78 —
 
Annotationen