No-Maske
Die handfesten kahlgeschorenen Köpfe noch heute ganz wie in
der monumentalen Bildnisplastik bester Zeiten; die prachtvollen,
streng geschnittenen Meßgewänder; die freilich oft recht zwanglose
Feierlichkeit der bunten Prozessionen. Wer in Nikko das Innere
des vornehmsten Grabschreines sehen will, muß selber, mit einem
seidenen Priestergewande bekleidet, eine Zeremonie mitmachen,
die eines gewissen Eindruckes nicht entbehrt. Und beim Besuche
der Klöster oder Tempelgärten wird er mehr als einmal Gelegen-
heit finden, die feine Höflichkeit und stille Gelassenheit dieser
Männer zu bewundern.
Wer sich sehnt, durch die Äußerlichkeiten hindurch tiefer in
das japanische Volkstum einzudringen, sollte sich vorab entschließen
und in den Stand setzen, das japanische Leben an sich selber zu
erproben. Mich hatten amerikanische Fachgenossen dringend er-
mutigt, in japanischen Gasthäusern abzusteigen und mich dort nach
Landessitte einzurichten, weil man nur durch eigene Erfahrung in
die fremdartige Welt eindringe. Ich habe ihnen recht gegeben und
meine jungen Freunde beneidet, die länger im Lande weilen und
sich an seine Eigenheiten persönlich gewöhnen konnten. Meine
wenigen, heißen Sommermonate sind zu kurz gewesen für solches
Wagnis; nur gelegentlich auf Reisen durch kleinere Orte habe ich
es mir in den sauberen Zimmern, den schattigen Umgängen und
sorgsamen Gärtchen bequem machen können; es ist leicht, die
Augen, schwerer die Ohren, am schwersten die Zunge und die
Nase auf Japan einzustellen. Überdies wissen die gewandten Wirte
drüben es dem europäisch Gewohnten in den großen und selbst
kleineren Hotels nach seinen Gewohnheiten höchst bequem zu machen, bis in das weit entlegene Sapporo auf
der Nordinsel hinauf. In Nara ist das neue, große Hotel sogar in recht geschmackvoller, schlicht japanischer
Art ausgestattet.
Entscheidend aber ist es, daß man möglichst oft und vielseitig persönliche Fühlung mit dem Volksleben und
vor allem mit gebildeten Japanern gewinne. Das eine hat mir mein lieber junger Freund und aufopfernder
Begleiter, Maler Fritz Rumpf aus Potsdam, erschlossen, ein ungewöhnlicher Kenner der Sprache und der Volks-
art, als Schüler Emil Orliks mit allen Zeichen- und Druckkünsten und mit dem einschlägigen Kunsthandel
vertraut, jetzt nach harten Kämpfen um Tsingtau in einem japanischen Gefangenenlager. Wir haben manchen
heißen Vormittag bei den Kunst- und Buchhändlern in Tokio und Kioto gehockt, bald im schattigen Hinter-
zimmer gegen das Gärtchen oder bepflanzte Höfchen hin, das auch in dem bescheidensten Hause nicht fehlt,
bald im offenen Laden an der sonnigen, staubigen Straße unter den Augen der neugierigen Menge, mit
der Freund Rumpf in den verschiedensten Mundarten und Tonarten Scherz zu treiben wußte. Sie beugten
staunend ihre Nasen weit über sein Papier, wenn er mit seltener Gewandtheit seine flinken chinesischen
Schriftzeichen hinmalte. Dann brachten uns der Händler und seine Gehilfen nach gutem Zureden von rückwärts
aus den feuersicheren Speicherhäusern ihre Schätze; dann kamen wohl auch die Gattin und die Töchter aus
der Küche hinzu, um uns Tee vorzusetzen oder verschämt und launig dem Hin und Her der Verhandlungen
zuzuhören, und es gab ansprechende Einblicke
in die Häuslichkeit des kleinen Mannes. Soweit
diese Händler nicht die Fremden, sondern vor-
wiegend ihre Landsleute zu Kunden zählten,
haben wir sie stets freundlich, aufrichtig und
ehrlich befunden und manche erwünschte Beute
heimgetragen.
In das Hausleben des gebildeten Japaners
habe ich durch über Europa angeknüpfte Be-
ziehungen einige Blicke tun können, um so wert-
voller, weil ja der Einheimische sein Haus dem
Fremden meist voll ängstlicher Scheu zu ver-
schließen pflegt; solchem landesüblichen Aus-
weichen bin ich mehrfach begegnet. Deshalb
denke ich mit besonderem Danke des Arztes
Professors Irisawa in Tokio, den ich schon bei
der Ausreise durch unseren Kollegen Sh. Hara
in Hamburg kennen lernte, und aus Kioto des
no-,,d( «äriu, K, ic, km, gleich liebenswerten, erfahrenen Leiters des
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Die handfesten kahlgeschorenen Köpfe noch heute ganz wie in
der monumentalen Bildnisplastik bester Zeiten; die prachtvollen,
streng geschnittenen Meßgewänder; die freilich oft recht zwanglose
Feierlichkeit der bunten Prozessionen. Wer in Nikko das Innere
des vornehmsten Grabschreines sehen will, muß selber, mit einem
seidenen Priestergewande bekleidet, eine Zeremonie mitmachen,
die eines gewissen Eindruckes nicht entbehrt. Und beim Besuche
der Klöster oder Tempelgärten wird er mehr als einmal Gelegen-
heit finden, die feine Höflichkeit und stille Gelassenheit dieser
Männer zu bewundern.
Wer sich sehnt, durch die Äußerlichkeiten hindurch tiefer in
das japanische Volkstum einzudringen, sollte sich vorab entschließen
und in den Stand setzen, das japanische Leben an sich selber zu
erproben. Mich hatten amerikanische Fachgenossen dringend er-
mutigt, in japanischen Gasthäusern abzusteigen und mich dort nach
Landessitte einzurichten, weil man nur durch eigene Erfahrung in
die fremdartige Welt eindringe. Ich habe ihnen recht gegeben und
meine jungen Freunde beneidet, die länger im Lande weilen und
sich an seine Eigenheiten persönlich gewöhnen konnten. Meine
wenigen, heißen Sommermonate sind zu kurz gewesen für solches
Wagnis; nur gelegentlich auf Reisen durch kleinere Orte habe ich
es mir in den sauberen Zimmern, den schattigen Umgängen und
sorgsamen Gärtchen bequem machen können; es ist leicht, die
Augen, schwerer die Ohren, am schwersten die Zunge und die
Nase auf Japan einzustellen. Überdies wissen die gewandten Wirte
drüben es dem europäisch Gewohnten in den großen und selbst
kleineren Hotels nach seinen Gewohnheiten höchst bequem zu machen, bis in das weit entlegene Sapporo auf
der Nordinsel hinauf. In Nara ist das neue, große Hotel sogar in recht geschmackvoller, schlicht japanischer
Art ausgestattet.
Entscheidend aber ist es, daß man möglichst oft und vielseitig persönliche Fühlung mit dem Volksleben und
vor allem mit gebildeten Japanern gewinne. Das eine hat mir mein lieber junger Freund und aufopfernder
Begleiter, Maler Fritz Rumpf aus Potsdam, erschlossen, ein ungewöhnlicher Kenner der Sprache und der Volks-
art, als Schüler Emil Orliks mit allen Zeichen- und Druckkünsten und mit dem einschlägigen Kunsthandel
vertraut, jetzt nach harten Kämpfen um Tsingtau in einem japanischen Gefangenenlager. Wir haben manchen
heißen Vormittag bei den Kunst- und Buchhändlern in Tokio und Kioto gehockt, bald im schattigen Hinter-
zimmer gegen das Gärtchen oder bepflanzte Höfchen hin, das auch in dem bescheidensten Hause nicht fehlt,
bald im offenen Laden an der sonnigen, staubigen Straße unter den Augen der neugierigen Menge, mit
der Freund Rumpf in den verschiedensten Mundarten und Tonarten Scherz zu treiben wußte. Sie beugten
staunend ihre Nasen weit über sein Papier, wenn er mit seltener Gewandtheit seine flinken chinesischen
Schriftzeichen hinmalte. Dann brachten uns der Händler und seine Gehilfen nach gutem Zureden von rückwärts
aus den feuersicheren Speicherhäusern ihre Schätze; dann kamen wohl auch die Gattin und die Töchter aus
der Küche hinzu, um uns Tee vorzusetzen oder verschämt und launig dem Hin und Her der Verhandlungen
zuzuhören, und es gab ansprechende Einblicke
in die Häuslichkeit des kleinen Mannes. Soweit
diese Händler nicht die Fremden, sondern vor-
wiegend ihre Landsleute zu Kunden zählten,
haben wir sie stets freundlich, aufrichtig und
ehrlich befunden und manche erwünschte Beute
heimgetragen.
In das Hausleben des gebildeten Japaners
habe ich durch über Europa angeknüpfte Be-
ziehungen einige Blicke tun können, um so wert-
voller, weil ja der Einheimische sein Haus dem
Fremden meist voll ängstlicher Scheu zu ver-
schließen pflegt; solchem landesüblichen Aus-
weichen bin ich mehrfach begegnet. Deshalb
denke ich mit besonderem Danke des Arztes
Professors Irisawa in Tokio, den ich schon bei
der Ausreise durch unseren Kollegen Sh. Hara
in Hamburg kennen lernte, und aus Kioto des
no-,,d( «äriu, K, ic, km, gleich liebenswerten, erfahrenen Leiters des
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