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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

DOI Artikel:
Jessen, Peter: Reisestudien, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0102

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Schauspieler

Handelsmuseums Niwa. Beide haben mich nicht nur in Gast-
häusern bewirtet, sondern in ihr Haus und ihre Familie einge-
führt und mir die seltene Gelegenheit gegeben, die japanische
Mutter und ihre Kinder, Knaben, Mädchen und Jünglinge, kennen
und schätzen zu lernen. Vor diesen würdigen, zurückhaltenden
und doch launig teilnehmenden Frauen, Meisterinnen der Haus-
kunst und angebeteten Müttern, habe ich aufrichtige Ehrfurcht
empfunden. Die Familien hielten fest am alten Glauben der
Väter: der Hausherr zeigte mir zum Zeichen tiefsten Vertrauens
den kleinen Hausaltar mit den Bildern und Namenstäfelchen der
verstorbenen Eltern, vor denen alltäglich in zierlichen Näpfchen
Kostproben von allen Mahlzeiten des Hauses als Opfer auf-
gestellt werden. Und ich verlebte dort das Bon-Fest, das Fest
Allerseelen, an dem zum Gedächtnis der verstorbenen Lieben
in und vor allen Häusern Lichter in bunten Papierschirmen
brennen, damit die Seelchen an diesen Tagen heimwärts finden
und mit den Ihrigen in treuer Gemeinschaft weiter leben.
Rührende Sitten, die selbst im Hause des modernen Arztes
noch nicht veraltet sind, zartester Ausdruck uralten Ahnen-
glaubens, der die Japaner als Einzelwesen und als Volk so ruhig
und stark macht. Und die Söhne des Hauses mußten aus ihrer
Schule berichten, von der wir aus Lafcadio Hearn wissen und
über die mir das reichhaltige Schulmuseum in Tokio manche
neue Vorstellungen geweckt hatte mit seiner Fülle zeitgemäßer
Lehrmittel und namentlich trefflicher Handarbeiten. Wer japa-
nischen Kindern bei Spiel oder Arbeit zuschaut, staunt immer
wieder über die Gelenkigkeit und Geschmeidigkeit dieser weichen Fingerchen; Freunde der Handfertigkeit
werden sich der entzückenden, selbstgefertigten Spielsächelchen aus der japanischen Abteilung auf der Interna-
tionalen Hygiene-Ausstellung in Dresden erinnern. Die größeren Buben zeigten mir mit Stolz ihre Waffen, und
die erwachsenen Söhne erwiesen sich als besonders tätige Mitglieder des großen, über ganz Japan verbreiteten
Fechtbundes, in dessen großer Halle sie sich abendlich im Ringen und Schwertschwingen übten. Ich dachte
noch nicht an Kiaotschou damals.

In diesem Fechtbund mit seinen zwei Millionen Mitgliedern ist alte Überlieferung frisch belebt und mit
neuesten Zielen eng gepaart. So suchen heute auf allen Lebensgebieten, auch in den Künsten, führende Männer
zerrissene Fäden neu zu knüpfen, zugleich Romantiker und entschlossene Zukünftler. Der Geist der Alten
will wieder erstehen: noch sprach man mir wiederholt von dem ergreifenden Opfertod des Generals Nogi und
seiner Gattin, für die im schönen Waffenmuseum in Tokio ein eigener Ehrensaal hergerichtet war.

Diese Ehrfurcht vor dem Überlieferten greift auch in friedliche Gebräuche hinüber. Ich habe einer Tee-
zeremonie beigewohnt, einer Lehrstunde unter der Leitung eines ehrwürdigen Meisters. Obwohl nur Übung, doch
alles durchaus mit tiefem, gläubig anmutendem Ernst angefaßt, als seien alle die berühmten Großmeister dieser
geselligen Kunst zu Gaste gekommen. Da mußten
die Teilnehmer vom Garten aus durch ein enges
Türchen in das Festgemach eintreten und nach
vielen Verbeugungen ihre Plätze auf den Kissen
hinter den Rauchbecken einnehmen; da wurden
nach strengen Regeln das Kohlenbecken herge-
richtet, der Wasserkessel aufgestellt, das Feuer
geschürt, der grüne Tee aus vielfach umhüllter,
wertvoller Büchse entnommen, in die gleichfalls
kostbare Trinkschale gegossen und unter vor-
gezeichneten Komplimenten dem Ehrengaste ge-
reicht. Wie dieser dankte, den dicken Saft in
gebotenen Absätzen schlürfte, dann die Schale,
ein Meisterstück der Töpferkunst, bewunderte,
pries und den übrigen Gästen zeigte, wie sich
daran ein Gespräch über den Töpfer und seinen
Stil knüpfte, das man mir übersetzte, und wie
das feierliche Getue reihum in dem kleinen Kreise
weiterspielte und mit hübschen Geschenken an
den fremden Gast endete, das gab ein lebens-
volles Bild einer Kultur des Auges und der Außenseite eines Theaters

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