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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

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Zeitler, Julius: Erich Gruner
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https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0109

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gleich hinauswirft, so zeigt sich der geschultere Ge-
schmack doch beim Erwerb von neuerlichen Ein-
richtungsgegenständen.

Aus den eben besprochenen Gebieten verzweigt
sich nun Gruners Schaffen einerseits in die Geschäfts-
graphik hinein, andrerseits in die Buch- und Schrift-
kunst, sowie endlich auch in die Kostüm- und Woh-
nungskunst. Gruners Talent, ein Inserat zu heben
durch illustrative Hinweise, ist ein Seitenstück zu der
Hajdukschen Art, aber er übertrifft diese durch die
Urwüchsigkeit seiner populären Darstellungen und
durch die Treffsicherheit seines Humors. Hier ist der
Geist von Wilhelm Busch mit am Werke gewesen,
unserm Künstler sitzt ein Schalk im Nacken, wenn
er diese lustigen Gestaften hinzeichnet. Mit knappen
und kräftigen Umrissen sind sie gegeben, ohne aber
zu stark ins Silhouettenhafte zu verfallen. Sie sind
gewissermaßen hingeschrieben, mit leichtester Hand,
und dabei harmonisch mit der Schriftwirkung zu-
sammengestimmt. Auf diesem Felde hat Grüner auch
vornehmlich die korrespondierende Anzeige gepflegt,
Reklamegestaltungen, in denen sich etwa von beiden
Rändern der Zeitung die Figuren etwas zurufen, etwas
zuwerfen oder mindestens sich aufeinander beziehen,
eine verstärkt den Eindruck der andern. Spricht hier
das Bildhafte am meisten, so erfreut Gruners ander-
weite Geschäftsgraphik, wie Preisverzeichnisse, Brief-
köpfe, Werbemarken, Empfehlungskarten, durch ihren
tektonischen Aufbau, wie er bei solchen graphisch-
praktischen Arbeiten gefordert ist. Grüner beherrscht
natürlich auch rein typographische Wirkungen, aber er
erhöht sie gern durch illustrativ-dekorative Beigaben,
wie ja zahlreiche solcher Vorwürfe nicht puritanisch
gelöst sein wollen, sondern nach dem Ornament oder
überhaupt einer reicheren Ausschmückung verlangen.
Mit welcher künstlerischen Vornehmheit Grüner dabei
vorgeht, konnte man übrigens aus einer Anzahl von
Programmheften des Leipziger Schauspielhauses er-
sehen, die ganz der dekorativen Leitung des Künstlers
unterstellt waren. Es ist schlechthin vorbildlich, wie
hier die Inseratseiten durchkomponiert sind, wie bei
aller Mannigfaltigkeit eine einheitliche typographische
Idee hindurchgeht. Unsere Theaterprogramme lassen
von einer Kultur sonst noch nichts verspüren, die
typographische Regie, mit der Grüner bei diesen Sonder-
aufführungen gewaltet hat, ist ein um so rühmenswerteres
Beispiel. Auch manche Schwerindustrien haben sich
Gruners dekoratives Können für ihre Kataloge zunutze
gemacht, es ist gar nicht so leicht, etwa für einen
Flugzeugbau oder eine Automobilfabrik oder ein
Pumpenwerk eine richtige suggestive Gestaltung zu
machen, wie sie Grüner gelungen ist.

Man wird schon die Empfindung haben, daß
Grüner kein Vertreter der starken Tektonik in der
Buchkunst sein kann, glücklicherweise, muß man sagen,
denn Anhänger der puritanischen Konstruktion gibt es
auf diesem Gebiet genug, und wo sie ohne Geschmack
angewendet wird, atmet sie weiter nichts als gähnende
Langeweile. Gruners Buchdekorationen haben dem-
gegenüber etwasFlüssiges,Graziöses,Leichtbeschwingtes,
sie sind gewiß tektonisch empfunden, aber blühend

umkleidet, nehme man die Sammlung »Erlebtes und
Erschautes«, oder die gleichfalls bei Voigtländer er-
schienene »Dichtung des 19. Jahrhunderts«, die orna-
mental prächtigen »Lachenden Lieder« oder die Anmut
eines Romaneinbands wie dem des »Heinz Hauser«.
Wenn hier Bildliches beigegeben ist, so wirkt es rein
ornamental, noch klarer aber wirkt der Eindruck, wenn
sich der Künstler ganz auf ein Ornament und seine
Zusammenordnung mit der Schrift im Aufbau des
Titels, des Einbands und des Rückens beschränkt hat.
Gegenüber so vielen Einbänden der Gegenwart, denen
nur eine süßliche Biedermeierei innewohnt, und die
die Zartheit ihrer Lineamente zum Bedauern seufzen
lassen, wirken Grunersche Einbände wie kräftige Archi-
tekturen, Monumente neben Nippes. Und dieses Kraft-
volle wird erreicht, ohne daß der Künstler in das
Blockmäßige, in den Blockcharakter der Beschriftung
verfällt. Im Flächenstil hat er Beziehungen zu den
Leistungen der Steglitzer Werkstatt, an diese Ver-
wandtschaft erinnert auch sein Ornament, das nicht
rein geometrisch ist, das aber ebensowenig aus natu-
ralistischer Stilisierung her erwachsen ist. Man kann
dieses zum Geometrischen hinneigende, aber reichere
und mit einem ganz leisen Barockanklang versehene
Ornament in den Leisten, Vignetten und Umrahmungen
seiner Buchausstattungen verfolgen, besonders glänzend
aber in den Zierseiten der bibliophilen »Judas«-Publi-
kation, deren Text der Künstler selbst geschrieben hat,
in einer charaktervoll ausladenden Unzialschrift, aus
der nachher die Grüner-Antiqua entstand, eine bei
Brockhaus erschienene Alt-Schrift mit großer typo-
graphischer Verwendbarkeit. In den Textillustrationen
zum »Judas«, großzügigen Radierungen, tritt uns wieder
der Illustrator nahe, der hier freilich mit feierlichem Ernst
arbeitet. ErscheinenunsneuereGelegenheitsillustrationen
Gruners, wie solche zu Leipziger Kantatefestlichkeiten
oder zum »Zunftliederbuch« oder zum denkwürdigen
Ausflug des Werkbunds nach Naumburg im Jahre 1913
als Sprößlinge jenes vollsaftigen Humors, mit dem
Grüner die »Lachenden Lieder« geradezu überschüttet
hat, so vertieft sich vom »Judas« her die ernste Illu-
strationsweise in solche Gestaltungen reiner Graphik,
wie die »Tänze«, und ganz neuerdings das »Kriegs-
tagebuch« und die glänzende Folge der »Kriegsradie-
rungen«, beide als graphische Mappenwerke bei E. A.
Seemann erschienen. Eigene schmerzvolle und un-
verwischbare Kriegserlebnisse haben hier den Griffel
geführt und den Künstler zu Werken emporgehoben,
die in der zeitgenössischen Kriegsgraphik mit in der
vorderen Reihe stehen. Im »Kriegstagebuch« fand
Erich Grüner die von ihm inaugurierte Technik des
Linoleumschnittes auf meisterhafte Weise, diese Technik
ist eben im Begriffe, ihr ästhetisches Prinzip auszu-
bilden, Grüner, der in jedem Sinne ein hervor-
ragender Techniker ist, ein unermüdlicher Probierer,
erweist sich auch hier als Pfadfinder. Und erst jüngst
hat Grüner dem gediegenen Essayband »Klassische
Kavaliere« von Valerian Tornius in 10 Lithographien
einen entzückenden Schmuck verliehen.

Als Entwerfer von Bühnenbildern, in welcher
Eigenschaft Grüner dem Leipziger Schauspielhaus

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