Peter Behrens, Die Gartenstadt Lichtenberg bei Berlin Straßeneingang eines Wohnhofes
slättengesetz werden etwa 75 Pro-
zent des deutschen Volkes, die
vorher in unzureichenden Miets-
wohnungen ihr Dasein fristen
mußten, in gesunder und sozialer
Weise häuslich versorgt sein, und
damit erscheint gleichzeitig das so
dringende Problem der Denzentrali-
sation oder stadtbaulichen Auf-
lockerung unserer industriellen
Großstädte endgültig gelöst. Ein
nicht zu unterschätzendes volks-
wirtschaftliches Moment größter
Bedeutung der neu zu bauenden
Kleinsiedelungen liegt schließlich
noch darin, daß durch diese enorm
gesteigerte Architekturtätigkeit nach
dem Krieg unserm deutschen Bau-
gewerbe und damit mittelbar auch
unserer gesamten inländischen In-
dustrie Arbeitsaufträge in riesigem
Maßstab zufließen. Damit kann
aber, mindestens teilweise, jene
wirtschaftliche Krise überwunden
werden, die bei der aufhörenden
kriegsindustriellenKonjunktureiner-
zu erwarten ist — durchgeht, und die von ihm dem
Volk dargebotenen Möglichkeiten, selbst nur teilweise,
ausgenutzt werden, so hat Deutschland sich eine soziale
Wohnungsfürsorge geschaffen, mit der es an Groß-
zügigkeit die angelsächsischen Vorbilder weit hinter
sich läßt; wieder einmal ein Beweis, wie sehr der
deutsche gelehrige Schüler dem englischen Lehrer
über den Kopf gewachsen ist1). — Mit dem Heim-
1. Anspruch eines jeden Kriegers auf Hergabe billigen
Bodens, bei dessen Preis nicht der Marktwert, sondern allein
die Rücksicht auf den gesicherten Bestand der Heimstätten
ausschlaggebend ist.
2. Übernahme des Grundstückes ohne Kapitalanzahlung
gegen eine unkündbare mäßige Rente, die nicht erhöht
werden darf, so lange der Kriegsteilnehmer lebt oder sich
nicht der Heimstätte entäußert.
3. Bereitstellung von Baudarlehen gegen mäßige Zins-
und Tilgungssätze, wobei für gärtnerische oder landwirt-
schaftliche Betriebe die berufliche Eignung und ein ange-
messenes Betriebskapital vorauszusetzen sind. Diese
Tilgungsdarlehen dürfen die volle Höhe der Baukosten er-
reichen, damit auch Unbemittelten die Errichtung einer Heim-
stätte ermöglicht wird. — Die Verbreitung und praktische
Ausführung dieser Grundsätze hat der »Hauptausschuß für
Kriegerheimstätten« (Geschäftsstelle: Berlin NW. Lessing-
straße 11), eine Tochtergründung des »Bundes deutscher
Bodenreformer«, übernommen. —
1) Als weiteres Material zu Form und Anlage der Klein-
haussiedelung sei genannt: Erich Haenel und Heinrich
Tscharmann. Das Kleinwohnhaus der Neuzeit. Leipzig 1913,
und Walter Curt Behrendt, Kleinsiedelungen: Die Kunst.
(F. Bruckmann, München.) XVII. Jahrg. Heft 7. April 1916.
S. 205 bis 228. — Das volkswirtschaftliche Problem behan-
delt vom Standpunkt einer großzügig gesinnten Stadtver-
waltungserfahrung aus der empfehlenswerte Vortrag von
Oberbürgermeister Erich Koch, Kassel: Städtische Ansied-
lungs- und Bebauungsfragen. (Schriften des Vereins für
Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik E. V. Heft 7.)
Berlin-Friedenau. 1916. Seine Ausführungen gipfeln in dem
Satz: Die Einzelwohnung ist der historisch und seinem
Wert nach der Miets- und Massenwohnung immer voraus-
stehende Bautypus. Sodann wird dem Erbbaupachtver-
fahren ein weites Betätigungsfeld für den großstädtischen
Wohnungsbau eingeräumt: ergreift ein Privater, ein In-
dustrieller etwa oder eine Siedelungsgenossenschaft, die
Initiative zum Kleinwohnungsbau, so hat die Gemeinde
oder der Fiskus ihm für 99 Jahre in Erbbaupacht das ent-
sprechende Baugelände kostenfrei zu überlassen unter der
Voraussetzung, daß der Öffentlichkeit eine bestimmte Kon-
trolle über die technisch, hygienisch und sozial einwand-
freie Anlage der Siedelung durch den privaten Bauherrn
zusteht. — Auf diese Weise haben beide Teile gleiche
Vorteile und gleiche Pflichten bei größtmöglichem Nutzen
der Allgemeinheit.
Peter Behrens, Die Gartenstadt Lichtenberg bei Berlin
Geschlossener Wohnhot
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