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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

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Meißner, Else: Typenbildung und angewandte Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0156

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einem Künstler entworfen werden würde. Je mehr man
aber der Aufgabe, die Massenarbeit künstlerisch zu ver-
edeln, näher trat, desto mehr machte sich das Wesen aller
Massenproduktion, die auf das Durchschnittsbedürfnis von
Tausenden zugeschnitten ist, geltend. Es zeigte sich, daß
es sowohl vom künstlerischen wie vom volkswirtschaftlichen
Standpunkt weder wünschenswert noch möglich war,
Massenbedürfnisse durch individuell künstlerische Arbeit
zu befriedigen, daß die Aufgabe vielmehr darin lag, das
Typische, Wesentliche, Charakteristische in dem Bedürfnis
und in dem Volksgeist herauszuspüren und ihm den mög-
lichst wesensentsprechenden Ausdruck zu geben. So ent-
standen »Typenmöbel«, »Typenhäuser«. Es konnten zu-
nächst nur Versuche sein; der Geist eines ganzen Volkes
kann weder auf den ersten Anhieb noch von einem einzelnen
Künstler in eine völlig anschließende Kunstform gekleidet
werden. Aber der Gedanke, der darin zum Ausdruck kam,
war eine schöpferische Tat. Denn er zeigte den Weg, auf
dem wir zu einer erfolgreichen Hebung der Massenarbeit
kommen können: durch bewußtes Streben nach einer
möglichst vollkommenen Lösung der durch die Massen-
arbeit gestellten Aufgaben und durch Festhalten und fort-
dauerndes Weiterbilden der auf solche Weise gefundenen
Lösungen. — Aber der Grundgedanke wurde nur von
wenigen richtig verstanden. Sehr bald trat die Sinn- und
Wortverwechselung auf zwischen Typus auf der einen
Seite und Norm, Kanon, Schema auf der anderen Seite.
Man wolle die künstlerische Schöpferkraft vergewaltigen,
hieß es, eine Norm vorschreiben, die Kunst schematisieren.
Muthesius, der als einer der ersten die Forderung der
Zeit erkannt hatte, versuchte — wie er von jeher den Mut
gehabt hat, Neues zuerst auszusprechen und damit dem
neudeutschen Kunstgewerbe Unmeßbares geleistet hat —
auf der Kölner Tagung, die neue Erkenntnis in Worte zu
kleiden. Es ist nur im Interesse der Sache zu bedauern,
daß er sich damals doch etwas mißverständlich ausgedrückt
hat. Wenn es in seinen Leitsätzen heißt: »Die Architektur
und mit ihr das ganze Werkbundschaffensgebiet drängt
nach Typisierung und kann nur durch sie diejenige all-
gemeine Bedeutung wiedererlangen, die ihr in Zeiten
harmonischer Kultur eigen war«; »Nur mit der Typisierung,
die als Ergebnis einer heilsamen Konzentration aufzufassen
ist, kann wieder ein allgemein geltender, sicherer Geschmack
Eingang finden«, so kann derjenige, der sich noch nicht
in den neuen Gedankengang hineingedacht hat, schon allein
durch das irreführende Wort »Typisierung« verleitet werden,
darin die Forderung einer zwangsweisen Vereinheitlichung
zu erblicken. So heißt es denn auch in den Gegenleitsätzen
Van der Veldes: »Solange es noch Künstler im Werkbunde
geben wird, . . . werden sie gegen jeden Vorschlag eines
Kanons oder (!) einer Typisierung protestieren«, ein Vor-
schlag, der nur infolge der mißverständlichen Ausdrucks-
weise aus Muthesius' Leitsätzen herausgelesen werden
konnte; für den, der sich einmal klargemacht hat, daß der
Typus die in gewissem Sinne (nämlich für die jeweils ge-
gebenen Zeitumstände) endgültige, charakteristische Lösung
jedes Problems ist, wird aber nach dem ganzen Vortrage
sofort deutlich werden, daß Muthesius nur das Streben
nach dieser fordern und darauf hinweisen wollte, daß in
der Massenarbeit, die vom volkswirtschaftlichen und kul-
turellen Standpunkt so überaus wichtig ist, ein Erfolg nur
durch Herausarbeiten der typischen, d. h. charakteristischen
Ausdrucksform zu erzielen ist.

Ich gehe auf die Kölner Auseinandersetzungen deshalb
noch einmal so ausführlich ein, weil sie der Ausgangspunkt
für eine scheinbar fast unüberwindliche Flut von Miß-
verständnissen geworden sind, während ich es für ein
wichtiges Erfordernis für den weiteren Ausbau der kunst-

gewerblichen Bestrebungen halte, daß gerade über den
Begriff der Typenbildung einmal grundsätzliche Klarheit
geschaffen wird. Es muß allgemein verstanden werden,
daß das Streben nach Typen, d. h nach dem charakteristischen
Ausdruck für alle Kjulturaufgaben, mit irgendeinem Zwang,
mit dem Vorschreiben von Normen, mit Kanonisierung nicht
das Geringste zu tun hat.

Allerdings, eine Vereinheitlichung wird auch das
Streben nach Typen, wenn es allgemeiner wird, zur Folge
haben, aber nicht durch Zwang, nicht durch Kanonisierung,
sondern dadurch, daß infolge des bewußten Hinarbeitens
auf endgültige, charakteristische Lösungen die ungeeigneten,
zu stark persönlich und zeitlich beeinflußten, die Augen-
blicks- und Modelösungen schneller als sonst ausgemerzt
werden. Es ist das der Vorgang, der immer in Zeiten
starken, bewußten Kunstwollens besonders deutlich zu
verfolgen ist und den man mit Muthesius als »Ergebnis
einer heilsamen Konzentration« auffassen kann.

Der Krieg bringt das neudeutsche Kunstgewerbe in
eine kritische Lage. Waren vor dem Kriege die Mittel da,
um dem künstlerischen Streben volle Freiheit gewähren
zu können, auch auf die Gefahr hin, daß es einmal in die
Irre ging, so wird sich jetzt zeigen müssen, ob das neue
Kunststreben Kraft genug hat, um sich auch auf magererm
Boden zur vollen Blüte zu entfalten. Das ist nur bei
größter Ökonomie der Kräfte möglich, und diese Ökonomie
erfordert nach meiner Meinung zweierlei: einmal, daß der
Künstler, der am Einzel werk arbeitet, sich bewußt wird,
daß wir uns jetzt nicht sehr viel solche Kunstwerke leisten
können und er um so mehr verpflichtet ist, sein ganzes
Schaffen so zusammenzufassen, daß er in seiner eigenen
Individualität den Geist und das Kunstwollen seiner Zeit
widerspiegelt. Auf der anderen Seite, daß überall, wo
an der Befriedigung der Massenbedürfnisse gearbeitet wird,
an die Stelle der Überbietung in neuen Lösungen das
Streben nach der besten Lösung, dem Typus tritt, und daß
die besten und bewährtesten Lösungen langsam weiter-
entwickelt werden.

Doch dabei ist noch eines klarzustellen: Der Typus
wird immer nur den Rahmen bilden können, innerhalb
dessen sich der künstlerische Takt zu betätigen hat. Am
besten wird man das vielleicht am Hausbau verdeutlichen
können: Angenommen, wir hätten in irgend einer Gegend
einen Haustypus entwickelt, der praktisch und künstlerisch
allen Anforderungen entspricht; so wird es immer noch
Sache des Architekten sein, diesen Typus dem Einzelfall
anzupassen, auf die umgebenden Häuser, die Neigung der
Straße, die besonderen Wünsche des Erbauers Rücksicht
zu nehmen, hier und da Verbesserungen vorzunehmen; es
wird sich also keinesfalls um das schematische Wieder-
holen einer Norm handeln können. Aber es wird doch eine
ganz andere Art des Arbeitens sein, als wenn der Architekt
daran geht,^das Haus aus dem Nichts heraus zu entwerfen.
Er wird sich viel mehr auf die schon geleistete Vorarbeit
stützen und auf diesem Grunde etwas viel Vollkommneres
schaffen können. Man braucht nur in irgendeine alte Stadt
zu gehen, gleichviel ob sie ihr Gepräge noch mittelalter-
lichem Handwerksgeist, oder der Zeit des Barock und
Rokoko, oder der des Empire- und Biedermeierstils ver-
dankt: immer wird man ablesen können, daß man damals
garnicht auf den Gedanken gekommen ist, jedes Bürger-
haus individuell zu gestalten. Erst der Überindividualismus
des letzten halben Jahrhunderts hat das Wahngebilde ge-
schaffen, es müsse auch in der Massenarbeit jedes Stück
von Grund auf anders als das andere sein: so trat schein-
bar individuell gefärbter Massenschund an die Stelle der
typischen, aber guten Arbeit. Wir haben solche Typen
wohl noch fast nirgends wieder ausgebildet; es wird auch

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