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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

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Zeitler, Julius: Unser Schriftverständnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0163

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stellenden Anforderungen. Die ausführliche Einleitung, die
tief in alle Gewerbe hineingeht, ist mit außerordentlich
vielen Erläuterungsbeispielen belegt. Aber man muß das
Werk studieren, nicht kopieren. Wenn es weniger Schrift-
geschichte bietet als deren praktischen Niederschlag in
Andeutungen, so soll das doch nicht heißen, daß dem
Kunstgewerbler nun die Aufgabe leicht gemacht wird.
Nicht imitieren soll man diese Schriftbeispiele, sondern in
ihren Geist soll man eindringen und sich schöpferisch
daran entzünden. Für historische Schriften selbst bleibt
grundlegend Wilhelm Weimars Sammlung von Monumental-
schriften aus vergangenen Jahrhunderten, in der ein un-
vergänglicher Schatz alter Schriftschönheit niedergelegt ist.

Es bleibt noch zu erörtern, wie die Schrift an hervor-
ragenden Bauwerken unserer Gegenwart behandelt ist.
Die Schrift an Denkmälern — das ist ein klassisches
Kapitel, und es ist besonders betrüblich, wo sich zum Bild-
hauer nicht der Architekt gesellt hat. Die merkwürdigsten
Bildungen werden uns da als Schriften vorgesetzt. Be-
trüblich ist auch, sich an die Beschriftung der Befreiungs-
halle bei Kelheim zu erinnern oder an die noch schlimmere
Aufschrift des Nationaldenkmals auf dem Niederwald. Auch
die auf dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig angebrachten
Schriftformen entgehen keineswegs allen Einwänden. Von
modernen Fabrikbauten haben die Bahlsen und Hupfeld
eine musterhafte Beschriftung. In Leipzig selbst hat man
eine gute Tradition vom alten Rathaus her, mit dem mo-
numentalen Antiquaschriftband, das sich um den ganzen
Fries des ersten Stockes herumzieht. Überhaupt ist an
diesem Bau die Schrift bis ins einzelne Ladenschild hinein
glänzend durchgeführt. Über der Beschriftung, die im
Empfangsgebäude des Hauptbahnhofs angewendet ist, hat
kein guter Stern gewaltet, überall klebt nur eine ganz
konventionelle Antiqua den an sich so schönen Bauformen
auf, diese Uneinheitlichkeit zwischen Schrift und Baucharakter
verstimmt den Betrachter aufs empfindlichste. Für die
»Deutsche Bücherei« hat sich Baurat Bär die Mitwirkung
eines Schriftkünstlers wie Walter Tiemann gesichert, die
von ihm komponierten Schrififelder auf der Fassade er-
höhen deren Eindruck und bilden in ihrem goldenen Glanz
einen wichtigen Teil der Gesamtwirkung. Solange Archi-
tekten noch nicht selbst Schrift zeichnen, sollte es Brauch
werden, daß sie für ihre guten Bauten Schriftmeister aus
der Buchkunst heranziehen, die Bauten verdienen es doch,
und sie lohnen diese Rücksichtnahme durch reichere und
schönere Wirkung. Wir wollen unsere guten Schriften
nicht in den Büchern eingesperrt lassen, sondern sie sollen
ihre Schönheit und ihren Adel von öffentlicher Stätte aus
ins Volk hineinleuchten lassen dürfen.

Sehr vielsagend inbezug auf die Schrift ist die Mann-
heimer Ausstellung »Kriegergrabmal Kriegerdenkmal« ge-
wesen; sowohl in ihrem grundlegenden Teil, wie in den
Ergänzungen und Erweiterungen, die die Ausstellung bei
ihrem Zug durch die deutschen Großstädte erhielt. Ein
Gefühl für den selbständigen Charakter der Schrift und
für ihre Schönheit ist da nur selten vorhanden. Zumeist
ist sie ganz oberflächlich behandelt. Nur die Gedenkblätter
der Leipziger Akademie für graphische Künste und Buch-
gewerbe, der Wackerle-Klasse in Berlin und der Ehmcke-
Klasse in München räumten der Schrift die ihr gebührende
Stelle ein. Die österreichischen Entwürfe bewiesen zumeist
ein originelles Empfinden für neuartige Schriftanordnungen,
:n der deutschen Abteilung ragte in der Einzelform ein
Schriftkönner wie Matthey hervor. Ganz merkwürdige
Eindrücke erhielt man in den Abteilungen der graphischen
Einsendungen der Armeekorps und Divisionen aus dem
Felde und aus den Etappen. Die Art, wie da von den
einzelnen Landeszugehörigen die Aufgaben der Grabkreuze

und der Grabschilder gelöst ist, war ganz verschieden,
ganz deutlich aber heben sich in ihren Beschriftungen die-
jenigen Regimenter und Divisionen heraus, die sich aus
Städten rekrutierten, in denen Schriftkurse eingerichtet
waren, sei es an Kunstgewerbeschulen, an Akademien oder
sonst. Aus dem Bezirk oberflächlicher, charakterloser,
ja widerlicher Schriften und Dekorationsmaleralphabete
kam man zu seiner Freude zu öfteren Malen in den Bezirk
durchgebildeter, ausgeglichener Kunstschriften.

Wir müssen also von unseren Raum- und Gewerbe-
künstlern gewisse Kenntnisse in historischen und modernen
Schriftformen verlangen. Der Fraktur - Antiquastreit von
1911, der das Schriftinteresse so sehr vertiefte, hat sicher
auch in Baukünstlerkreisen ein erhöhtes Schriftwissen ver-
breitet. In der Frage der Reichstagsinschrift erscheint
dasselbe Problem nur auf die Baukunst angewendet. Auch
dem Unbeteiligten ist damit und in der Art, wie die Geister
aufeinanderplatzten, gezeigt, wie brennend die Frage ist.
Hie Antiqua, hie Gotisch, das war das Feldgeschrei, und
jede der beiden Parteien schrieb sich den Vorzug zu, unter
der nationalen Standarte zu kämpfen. Die arme Gotisch
mußte sich sogar sagen lassen, daß sie eigentlich eine
welsche Erfindung sei. Um so heftiger kämpften die
Frakturanhänger um eine ihnen genehme Inschrift, wie sie
etwa in meisterhafter Weise an der Portalfront des Deutschen
Buchgewerbemuseums verkörpert ist. Die Antiquafanatiker
propagierten ihrerseits aufs stürmischste die Anwendung
römischer Kapitalbuchstaben. Nur in der Theorie war man
sich einig, daß der Stil des Bauwerkes in der Schriftform
vor allem gehört werden müsse. Die mittelalterliche stil-
mengende Schriftform, zu der Wallot selbst neigte, kann
uns auch nicht genügen, besonders wenn wir die Ergeb-
nisse bedenken, mit denen er das Haus schon in den Eck-
türmen beglückt hat.

Wenn wir darin einig sind, daß wir einer gotischen
Kirche keineswegs eine Renaissance - Antiqua aufprägen,
so sollten wir auch darin einig werden können, daß die
römische Kapitalschrift nicht unter allen Umständen die
gegebene monumentale Schriftform ist. Selbst für klassi-
zistisch gestimmte Bauwerke ist ihr Geltungsbereich sehr
eingeschränkt worden. In der Versalform, als Kapitalien-
Band ist sie auch hier durchaus nicht allgemein anwendbar.
Wir verfallen da gern in den Fehler der Augenärzte, von
der Schönheit und Klarheit der Einzelbuchstaben auszu-
gehen. Daher der Mangel der Inschriften an Leserlichkeit
der Schriften im ganzen. Firmentafeln sind zu 99% nicht
in Versalien beschriftet, sondern in schnell lesbarer Schrift
mit Klein- und Großbuchstaben, sehr häufig in Antiqua,
zumeist aber doch in einer Übergangsschrift zwischen
Antiqua und Fraktur. Wir berühren hier die Vermittlungs-
schrift in der »Deutschen Antiqua«, in der für alle Völker
lesbaren »Weltfraktur«. Frakturformen in dieser Ausge-
staltung wirken an ihrer Stelle nicht weniger monumental
als die Triumphbogenantiqua.

Jedenfalls wird jede Schriftdebatte so lange in Unklar-
heit und Unversöhntheit endigen, als nicht die Parteien
auf grundlegende Schrifterkenntnisse geeinigt sind, auf
historische und künstlerische Grundlegungen der Ent-
wicklungsformen, woran es eben zur Zeit noch so sehr
fehlt. Noch vor fünf Jahren glaubte man den Gipfel der
Schriftweisheit zu erklimmen, wenn man unsere herrliche
Schönspurger-Fraktm als Mönchsschrift brandmarkte. Ähn-
lichen Einsichten begegnet man heute, wenn von Textur,
Schwabacher, Gotisch, von Unziale, Halbunziale, karolin-
gischer Minuskel, Rustika, päpstlicher Kanzlei die Rede ist.
Solange wir mit diesen Beziehungen nicht genaue historische
Anschauungen, meinetwegen in Tafelformen, besitzen,
muß alle Schriftdebatte ins Uferlose und Arge führen.

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