Haupttreppe der Audienzhalle im Nordpalast zu Söul
halb zur Fahrt von Japan nach Peking den Land-
weg durch das neueste Siedelungsland Jungjapans,
durch Korea. Ich habe es nicht bereut.
Korea, das alte Kaisertum, ist bekanntlich seit
1910 als Außenprovinz Chosen dem japanischen
Reiche einverleibt. Als Folge des Russensieges
konnte Japan 1907 den letzten Kaiser entthronen,
dessen verkommenes Reich durch Jahrzehnte den
Zankapfel der West- und Ostmächte gebildet
hatte. Damit erfüllte sich ein alter Traum der
Japaner; schon 1592 hatte der kühne Empor-
kömmling, ihr großer Schogun Hideyoschi, mit
angeblich fünfzigtausend Mann die schmale
Meerenge überquert und binnen zwanzig Tagen
tief im Lande die Hauptstadt Söul überrannt.
Allein er hatte in sechsjährigen Kämpfen seine
Eroberungen nicht behaupten können, ist dar-
über gestorben, und seine Nachfolger mußten
die Macht über Korea dem mandschurischen
China überlassen. Nur die Hafenstadt Fusan
ist den Japanern alle Zeit offen geblieben, so daß
sie seit Jahrhunderten einen Fuß im Lande
hatten; 1876 öffnete man ihnen auch die wichtigen Häfen Gensan im Osten und Tschemulpo im Westen,
den Zugang zur Hauptstadt.
Von alters her hat ja Korea die Brücke vom Festland zum Inselreich Japan gebildet, die Straße für oft
wiederholte Züge chinesischer Kultur. Auch die früheste Kunst Japans, wie wir sie heute in Nara und
Horiuji studieren, haben der Überlieferung zufolge koreanische Künstler ins Leben gerufen, völlig im Sinn
ihrer chinesischen Vorbilder. Korea selber, bald in Teilkönigreiche gegliedert, bald einheitlich zusammen-
gefaßt, hat nach dem Ende der Korai-Dynastie (935—1392), die der Halbinsel den Namen gegeben hat, eine
neue Welle chinesischen Einflusses erlebt; mit den Lebensgewohnheiten und den Trachten der Ming-Zeit,
der Grundlage der heutigen Volkstracht, erwuchs eine blühende gelehrte Literatur, die im 15. Jahrhundert
auch die frühe Erfindung des Druckes mit beweglichen Buchstaben wachrief. Nach der Abwehr des japa-
nischen Einfalls aber und seinen entsetzlichen Verheerungen hat man zum Schutze des Landes zu jener
seltsamen Abschließung gegriffen, die Korea fast vier Jahrhunderte lang zu einem Sagenland gemacht hat:
die Küsten wurden planmäßig entvölkert, die Fremden, auch die zufällig verschlagenen, getötet, der Verkehr
mit ihnen bei Todesstrafe untersagt, und Feuerwachen auf den Bergen standen dauernd bereit, etwa nahende
Feinde nach dem Innern zu melden. Nun erwuchs jene unglaubliche Mißwirtschaft, deren letzte Folgen im
19. Jahrhundert die eindringenden Fremdmächte vorgefunden und ausgenutzt haben, im Großen der Tod
eines edlen, begabten Volkes, im Kleinen eine Posse im Stile von Sullivans Mikado, aus der der Reisende
noch heute durch ansässige Landsleute und koreanische Bekannte manch heitere und bittere Einzelheit hören
kann. Der Herrscher, der sich Kaiser nannte, in den Händen seiner zahllosen Frauen und Nebenfrauen und
ihrer hundert Palasteunuchen. Ein Rausch von Tänzen, Festen, Umzügen, über die es auch an schönen,
alten Bilderwerken nicht fehlt, von denen ich eines kaufen konnte. Unaufhörliche Geldnot, obwohl z. B.
im Jahre 1834 ein Kaiser höchstselbst mit
Prüfungsdiplomen gehandelt hat. Über
das Land herrschten allmächtig die alten
Adelssippen. Das Geschlecht, das gerade
am Ruder war, verfügte über die tausend
Ämter, war frei von Heeresdienst, Steuern
und Strafen. Dem Adel und dem riesigen
Anhang, den er unterhalten mußte, einem
Dritteil der Landesbewohner, war jede
Arbeit verboten: es gibt nur Räuber und
ihre Opfer, sagt ein altes Wort. Kein
Wunder, daß dabei das ganze Volk aller
kriegerischen und vaterländischen Gesin-
nung sich völlig entwöhnte, daß wenigstens
für den Städter, der auf sich hielt, das
Nichtstun zur Pflicht wurde. Das ist noch
heute der hervorstechende Zug. Gleich
bei der Landung in Fusan und weiter in
*5 W¥ W£z3&W&
Halle und Brücke im Nordpalast zu Söul
Aus: Hamilton, Korea
138
halb zur Fahrt von Japan nach Peking den Land-
weg durch das neueste Siedelungsland Jungjapans,
durch Korea. Ich habe es nicht bereut.
Korea, das alte Kaisertum, ist bekanntlich seit
1910 als Außenprovinz Chosen dem japanischen
Reiche einverleibt. Als Folge des Russensieges
konnte Japan 1907 den letzten Kaiser entthronen,
dessen verkommenes Reich durch Jahrzehnte den
Zankapfel der West- und Ostmächte gebildet
hatte. Damit erfüllte sich ein alter Traum der
Japaner; schon 1592 hatte der kühne Empor-
kömmling, ihr großer Schogun Hideyoschi, mit
angeblich fünfzigtausend Mann die schmale
Meerenge überquert und binnen zwanzig Tagen
tief im Lande die Hauptstadt Söul überrannt.
Allein er hatte in sechsjährigen Kämpfen seine
Eroberungen nicht behaupten können, ist dar-
über gestorben, und seine Nachfolger mußten
die Macht über Korea dem mandschurischen
China überlassen. Nur die Hafenstadt Fusan
ist den Japanern alle Zeit offen geblieben, so daß
sie seit Jahrhunderten einen Fuß im Lande
hatten; 1876 öffnete man ihnen auch die wichtigen Häfen Gensan im Osten und Tschemulpo im Westen,
den Zugang zur Hauptstadt.
Von alters her hat ja Korea die Brücke vom Festland zum Inselreich Japan gebildet, die Straße für oft
wiederholte Züge chinesischer Kultur. Auch die früheste Kunst Japans, wie wir sie heute in Nara und
Horiuji studieren, haben der Überlieferung zufolge koreanische Künstler ins Leben gerufen, völlig im Sinn
ihrer chinesischen Vorbilder. Korea selber, bald in Teilkönigreiche gegliedert, bald einheitlich zusammen-
gefaßt, hat nach dem Ende der Korai-Dynastie (935—1392), die der Halbinsel den Namen gegeben hat, eine
neue Welle chinesischen Einflusses erlebt; mit den Lebensgewohnheiten und den Trachten der Ming-Zeit,
der Grundlage der heutigen Volkstracht, erwuchs eine blühende gelehrte Literatur, die im 15. Jahrhundert
auch die frühe Erfindung des Druckes mit beweglichen Buchstaben wachrief. Nach der Abwehr des japa-
nischen Einfalls aber und seinen entsetzlichen Verheerungen hat man zum Schutze des Landes zu jener
seltsamen Abschließung gegriffen, die Korea fast vier Jahrhunderte lang zu einem Sagenland gemacht hat:
die Küsten wurden planmäßig entvölkert, die Fremden, auch die zufällig verschlagenen, getötet, der Verkehr
mit ihnen bei Todesstrafe untersagt, und Feuerwachen auf den Bergen standen dauernd bereit, etwa nahende
Feinde nach dem Innern zu melden. Nun erwuchs jene unglaubliche Mißwirtschaft, deren letzte Folgen im
19. Jahrhundert die eindringenden Fremdmächte vorgefunden und ausgenutzt haben, im Großen der Tod
eines edlen, begabten Volkes, im Kleinen eine Posse im Stile von Sullivans Mikado, aus der der Reisende
noch heute durch ansässige Landsleute und koreanische Bekannte manch heitere und bittere Einzelheit hören
kann. Der Herrscher, der sich Kaiser nannte, in den Händen seiner zahllosen Frauen und Nebenfrauen und
ihrer hundert Palasteunuchen. Ein Rausch von Tänzen, Festen, Umzügen, über die es auch an schönen,
alten Bilderwerken nicht fehlt, von denen ich eines kaufen konnte. Unaufhörliche Geldnot, obwohl z. B.
im Jahre 1834 ein Kaiser höchstselbst mit
Prüfungsdiplomen gehandelt hat. Über
das Land herrschten allmächtig die alten
Adelssippen. Das Geschlecht, das gerade
am Ruder war, verfügte über die tausend
Ämter, war frei von Heeresdienst, Steuern
und Strafen. Dem Adel und dem riesigen
Anhang, den er unterhalten mußte, einem
Dritteil der Landesbewohner, war jede
Arbeit verboten: es gibt nur Räuber und
ihre Opfer, sagt ein altes Wort. Kein
Wunder, daß dabei das ganze Volk aller
kriegerischen und vaterländischen Gesin-
nung sich völlig entwöhnte, daß wenigstens
für den Städter, der auf sich hielt, das
Nichtstun zur Pflicht wurde. Das ist noch
heute der hervorstechende Zug. Gleich
bei der Landung in Fusan und weiter in
*5 W¥ W£z3&W&
Halle und Brücke im Nordpalast zu Söul
Aus: Hamilton, Korea
138