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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

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Wesemann, H.: Das Handwerk im Jahre 1916
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https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0188

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auf sich genommen und noch für deren strenge Durch-
führung Sorge getragen, ja sogar oftmals den Behörden
seine sachverständigen Kräfte und Ratschläge bei der Durch-
führung solcher Bestimmungen gern zur Seite gestellt.

Von den neuen Kriegssteuergesetzen aus demjahre 1916
interessierte das Handwerk neben der Erhöhung der Post-
gebühren und dem Frachturkundenstempel insbesondere
der Warenumsatzstempe], der in seiner jetzigen Höhe aller-
dings geldlich für das Handwerk weniger ins Gewicht fällt,
der aber die Handwerker endlich immer mehr zu einer
geordneten Buchführung zwingen wird und der anderer-
seits leider auch die Handwerker oftmals mit ihren Liefe-
ranten in Zwist bringen wird über die an sich zweifellose
Frage, wer diese Steuer zu tragen hat.

Die höchsten Ansprüche an die Opferwilligkeit des
Handwerks aber wird das Gesetz betr. den vaterländischen
Hilfsdienst, das bekanntlich am 6. Dezember des ver-
gangenen Jahres in Kraft getreten ist, stellen. Unsere
Kriegsindustrie und unsere Landwirtschaft brauchen mehr
arbeitsame Hände, vor allem mehr gelernte Leute, von
denen natürlich das Handwerk einen wesentlichen Teil
stellen muß. In erster Linie sollen die freiwilligen Mel-
dungen die Zwecke des Hilfsdienstes erreichen helfen, und
es steht zu erwarten, daß die freiwilligen Meldungen auch
aus dem Handwerk so zahlreich eingehen, daß ein Zwang
und eine Stillegung von Handwerksbetrieben vorläufig nicht
einzutreten braucht. Auch im Handwerk gibt es gewiß
viele Meister, deren Betrieb durch den Krieg, die Schwierig-
keiten der Materialbeschaffung und andere Faktoren so sehr
gelitten hat, daß sie nichts besseres tun können, als ihrer
vaterländischen Diestpflicht zu genügen. Aufgabe der
Hand Werksorganisationen aber wird es sein, die berech-
tigten Interessen der selbständigen Handwerker in den
verschiedenen Ausschüssen, den Trägern der Dienstpflicht,
wahrzunehmen und unberechtigte Härten nach Möglichkeit
zu vermeiden.

Zum Frieden bereit ist das deutsche Handwerk auf
der anderen Seite, denn es hat im verflossenen Jahre tat-
kräftig dem Übergange in die Friedenswirtschaft vorge-
arbeitet. Es hat da zuerst an die verletzten, kranken und
gesunden Handwerksgenossen gedacht, die hoffentlich bald
aus dem Felde in ihren Kreis zurückkehren werden.

i Erfreulich ausgebildet und verbreitet ist die Kriegs-
beschädigtenfürsorge. Für die Ausbildung, Umlernung,
Unterbringung und Beschäftigung dieser Braven hat das
Handwerk im Einvernehmen mit den Landesausschüssen
für Kriegsbeschädigte und teilweise auch mit den Gewerk-
schaften bisher schon Großartiges geleistet. Hierbei soll
jedoch nicht verkannt werden, daß die Unterbringung eines
Kriegsbeschädigten in einem kleinen oder mittleren Hand-
werksbetriebe ungleich schwieriger ist als in einem Groß-
betriebe mit seiner größeren Arbeitsteilung. Aber dennoch
wird das Handwerk viele Tausende Kriegsbeschädigte ein-
stellen, einmal und in erster Linie aus Idealismus und
Dankbarkeit, und zum andern in der richtigen Erwägung,
daß nach dem Kriege bei dem mit Sicherheit zu erwar-
tenden Arbeitermangel auch jede halbe Kraft wertvoll ist.
Dabei wird sich das deutsche Handwerk auch sicher nicht
den Vorwurf der Lohndrückerei zuziehen.

Das Handwerk hat sich aber auch weiter im ver-
flossenen [ahre der Fürsorge für die aus dem Felde heim-
kehrenden Meister, die meistens vor einem Nichts stehen
werden, angenommen. Man hat zu diesem Zwecke vieler-
orts die provinziellen Darlehnskassen gegründet oder solche
in bestimmte Aussicht genommen, die teils mit den Bei-
trägen des Gewerbestandes, teils mit staatlichen oder
städtischen Mitteln ausgestattet werden. Auch hat man
den Plan erwogen, zur Wiederaufrichtung der Betriebe

von Feldzugsteilnehmern eine Zwangs - Kreditfürsorge als
Kriegsdarlehnskasse zu schaffen, deren Mittel von den sich
in glücklicherer Lage befindlichen Gewerbetreibenden durch
ein Umlageverfahren nach berufsgenossenschaftlichem Vor-
bilde aufgebracht werden sollen. Die Hauptaufgabe der
Lösung dieser schwierigen Fragen wird aber bei den Hand-
werksvertretungen und -Vereinigungen liegen, von deren
Mitgliedern in diesem Punkte ein besonderes Maß von
Opferwilligkeit, Selbstlosigkeit und Einigkeit verlangt
werden wird. Leider hat das Handwerk im verflossenen
Jahre dieser so wichtigen Frage noch nicht die wünschens-
werte Aufmerksamkeit geschenkt, sie harrt noch ihrer ein-
gehenderen Behandlung und Lösung im kommenden Jahre.

Zu der Frage der Beschäftigung der Kriegsbeschädigten
gesellte sich die gleichfalls nicht unwichtige Frage der
Beschaffung hinreichender Arbeitskräfte für die Zeit nach
dem Kriege und die dann zu erwartende Steigerung ge-
werblicher Tätigkeit. Man erwog hier in erster Linie die
Förderung des Lehrlingswesens, ferner den Ausbau der
Frauenarbeit im Handwerk, die Errichtung von Betriebs-
gemeinschaften (Werkgenossenschaften), die Heranziehung
ausländischer Arbeiter, die Anlernung ungelernter Arbeiter
usw. Die Sorge um den gewerblichen Nachwuchs ließ
das Handwerk ernstlich auf Mittel und Wege sinnen, ihm
mehr Lehrlinge zu gewinnen, und allgemeine Genugtuung
lösten die Gründungen der Vereine für Berufsberatung und
Lehrstellenvermittlung aus, von denen man sich bei richtiger
Handhabung im Handwerk vermöge ihrer wirkungsvollen
Förderung durch die Schulbehörden mit Recht einen großen
Zugang tüchtiger junger Leute zum Handwerksberuf ver-
spricht. Um auch die Frauenarbeit in gesunde Bahnen zu
lenken und zu fördern, haben einige Gewerbe beschlossen,
auch für weibliche Lehrlinge eine bestimmte Lehrzeit fest-
zusetzen und einheitliche Lehrverträge einzuführen.

Die große deutsche Handwerker-Fachpresse fand im
verflossenen Jahre so recht Gelegenheit, der Welt ihre
innere Kraft zu zeigen und ihren hohen und idealen Auf-
gaben der Bildung, Aufklärung, Organisierung, kurz als des
treuesten Begleiters des Handwerks durch alle Wechsel-
fälle trotz der unsäglichen Schwierigkeiten, mit dem sie zu
kämpfen hatte, glänzend gerecht zu werden. Die beste
Anerkennung für ihre Leistungen fand sie gelegentlich der
Einführung des vaterländischen Hilfsdienstes, die die
Regierungsvertreter dazu benutzten, in anerkennenden
Worten auf den Wert der Fachpresse hinzuweisen und ihr
noch weitere große Aufgaben in Aussicht zu stellen.

Das Jahr 1916 brachte auch die Einführung der »Sommer-
zeit«, die sich im deutschen Handwerk so bewährt hat, daß
die Handwerkskammern sich sämtlich in für sie günstigem
Sinne, einige sogar für deren Beibehaltung im Winter aus-
gesprochen haben. Man hat Anzeichen von Ermüdung
oder Unterernährung infolge Schlafentziehung dabei nicht
beobachtet und die Vermehrung der freien Abendstunden,
die der Erholung dienten, ist dem Gesundheitszustande
der Handwerker nur förderlich gewesen. Auf der anderen
Seite ist die Ersparnis in den Handwerksbetrieben an Licht
und Kohle nicht hoch genug anzuschlagen und somit be-
gegnet sich der Zweck der Einführung der »Sommerzeit«
mit demjenigen des gegen Ende des verflossenen Jahres
eingeführten 7 Uhr - Ladenschlusses, von dem allerdings
der eigentliche Handwerksbetrieb nicht getroffen wird.

Aufmerksame Beachtung wandte das Handwerk noch
den Fragen der militärischen Vorbereitung der Jugend, der
UnWirtschaftlichkeit der Zivilrechtspflege, dem Gütever-
fahren, dem Ausbau der Kreditgewährung, der Förderung
und Stärkung der Handwerkerorganisationen, dem Arbeits-
nachweiswesen, dem Arbeitsmarkte, auf dem sich immer
mehr ein bemerkenswerter Mangel an gelernten Kräften

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