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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

DOI Artikel:
Jessen, Peter: Reisestudien, [7]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0197

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Ma'idschufrau

Wer Glück hat, sieht an ihren Kleidern auf prächtigem Seidengrund
schöne Stickereien, Nachklänge des vornehmen Kleiderluxus, den
heute der Sammler an den leuchtenden Frauen- und Mandarinen-
gewändern der Kien - lung - Zeit liebt und bezahlt. Das Bild belebt
der bis heute auch in der Tracht durchgeführte Gegensatz zwischen
den eigentlichen Chinesen und den Mandschus, die bekanntlich seit
dem Ende des Kaisergeschlechts der Ming 1644 über Heer und
Verwaltung Chinas geherrscht haben: die Chinesin schlichter und
knapper, in engen Ärmeln und niedriger, runder Kappe, die Mand-
schufrau breitspurig, in langen, reich bestickten Überkleidern mit
weit geöffneten Ärmeln und unter einem hohen, eckig gefalteten
Kopfputz mit breiten Flügeln und aufwendigem Schmuck in Ge-
stalt von Blumen, allerlei Getier und Sinnbildern, oft von sehr
kostspieliger Arbeit. Ungern habe ich in dem heutigen chinesischen
Getriebe die mannigfachen glanzvollen und kühn geschnittenen
Kriegstrachten vermißt, gegen die noch 1894 die Japaner zu Feld
gezogen sind; wer alte Darstellungen kennt, wie sie etwa die Lipper-
heidesche Kostümbibliothek birgt, der weiß, welch unersetzliche
künstlerische Einbuße die Einführung der schlotterigen, schmierig-
gelben Khakiuniformen bedeutet, die heute das klägliche chinesische
Militär verunstalten.

Leider beeilten sich gerade in den Zeiten meines Aufenthalts,
am Beginn der Republik, auch die bürgerlichen Kreise, durch euro-
päischen Schnitt ihre neuzeitige Gesinnung zur Schau zu tragen. Unter
ihnen waren großenteils auch die Zöpfe schon gefallen, die gleichsam

zum Sinnbild und Prüfstein des neuen Zeitgeistes geworden sind. Nicht ohne Gefahr freilich in gewissen
Kreisen: noch vor kurzem hatte ein reaktionärer Heerführer seinen Leuten anheimgestellt, sich den Zopf ab-
zuschneiden, und Tags darauf alle, die es getan, als unsichere Anhänger enthaupten lassen. Drum tragen
viele Soldaten verschwiegen ihre Zöpfe um den Kopf gerollt unter ihrer Deckelmütze von preußisch-russischem
Schnitt. Zum Glück hält der gemeine Mann an seiner Gewohnheit fest uud läßt sich weiterhin auf der
Straße von dem wandernden Barbier auf seinem leuchtenden roten Stuhl die Haare flechten und den Schädel
vorne kahl scheren, eines der bekanntesten, belustigenden Leitmotive chinesischen Straßenlebens.

Mir war der jähe Wechsel des alten zum neuen China, der das Äußere wie das Innere berührt, schon
auf der Ozeanfahrt von San Francisco nach Yokohama lebendigst nahe getreten durch einen jungen Süd-
chinesen, der sechs Jahre auf amerikanischen Hochschulen Landwirtschaft studiert und sich dabei in Kleidung,

Sprache und Lebensart zu einem in jeder Gesellschaft wohlgelittenen
Typus entwickelt hatte, der frischeste und sympatischste Gast an
Bord. Unter dem Einfluß eines weitschauenden Lehrers hatte er
sogar gelernt, die gewaltigen Probleme der Reform seiner Heimat
^ S|X/'* etwas tiefer zu fassen als seine oberflächlich überbildeten jungen

*. k Freunde aus Kanton, die jede Gelegenheit suchten, mit uns über

die Zukunft Chinas zu kannegießern. Er verwies die vertrauens-
seligen Neuerer auf den Schwärm spielender, rauchender und un-
ablässig schwätzender Landsleute im Zwischendeck, die auch nur
äußerlich zu reformieren eine Sache von hundert Jahren sei.

Bekanntlich läuft der Fremde nirgend leichter als in Ostasien
Gefahr, über Land und Leute flüchtig und irrig zu urteilen, weil
er, der Landessprache und Landessitten unkundig, sich unzuverläs-
sigen einheimischen Führern anvertrauen muß. Wenn ich in der
kurzen Frist meines Aufenthaltes an Menschen und Dingen wenigstens
einiges gesehen habe, was dem Gaste der glänzenden Welthotels, wie
etwa des Hotels der Waggons-lits in Peking, zu entgehen pflegt,
so danke ich das vor allem zwei jüngeren Landsleuten, die als Ge-
lehrte und Sammler in Peking einen Haushalt nach chinesischer
Art und Verkehr mit Chinesen unterhielten, Dr. Herbert Müller und
Richard Schoede aus Berlin.

Sie zeigten mir gleich am ersten Tage in einem gartenartigen
Teile der Stadt einen volkstümlichen Jahrmarkt mit Verkaufsständen
und Schaubuden, Naschwerk und Spielzeug, vielerlei launigen Dingen,
freilich, wie mir schien, ohne die anmutige Eigenart und den noch
immer sicheren Geschmack, die dergleichen Kleinigkeiten in Japan

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Chinesischer^Schauspieler
 
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