hie und da ein prunkendes Ehrentor aus Stein oder Fliesen oder ein reizvoller Kleinbau, etwa über der
Denktafel eines Fürsten. Alles geräumig, straff, sicher, groß gedacht, weit überlegen der gefälligen, oft-
mals kleinlichen Gesinnung der Japaner. Wer das im einzelnen aufzeigen wollte, müßte Tempel für Tempel
beschreiben. Das ist für Peking oft genug geschehen. Ich kann nicht umhin, meines Besuches im »Himmelstempel«
zu denken, gegen Abend während eines schweren Gewitters: wie das Blau der berühmten Runddächer und
das lichte Weiß der Terrassen sich gegen das violette Gewölk abhoben, wie der Opferplatz des Kaisers in
ehrfurchtheischender Einsamkeit dastand, und wie wir doch zu unseren Füßen frische Trümmer alter Stein-
altäre entdeckten, die kürzlich japanische Soldaten in ihrem nichtswürdigen Übermute umgestürzt hatten.
Von den großen Klöstern Chinas und ihrem für das Volkstum lehrreichen Leben konnte ich leider aus Zeit-
mangel keines aufsuchen. Aber auf dem ahberühmten Wallfahrtsberge Taischan in Schantung habe ich mich
überzeugt, wie die Chinesen einen Aufstieg über sechstausend Stufen mit zahllosen Andachtstätten, Rasthäusern,
Brücken, Ruheplätzen und als Höchstziel mehrere Gruppen ehrwürdiger Tempel gestaltend zu bezwingen
vermögen. Aus der Ebene ragt die mächtige Felskuppe schroff empor, ihrer seltenen Lage wegen sagen-
umwoben und geheiligt von alters her. Der mühselig zu unterhaltende Weg war kürzlich neu vorgerichtet
worden, als man auf den Besuch des deutschen Kronprinzen rechnete. Auch hier imponieren weniger die
vielerlei merkwürdigen Einzelstücke als die Kunst, sie alle der rauhen Felslandschaft unterzuordnen; hoch
oben vor dem entscheidenden Eingangstor klingt diese Sinfonie in den majestätischen Rhythmus einer schwindel-
erregenden, riesigen Steiltreppe aus.
Sollte ich die Macht der chinesischen Baukunst an nur einer einzigen Aufgabe zeichnen, so würde ich
dazu statt aller Paläste und Tempel die Kaisergräber wählen. Freilich müßte man alles Erhaltene besucht
haben, die ältesten Reste in Nanking, die Minggräber bei Peking, die beiden Schöpfungen der ersten Mandschu-
kaiser bei Mukden und die beiden großen Anlagen der zuletzt herrschenden Dynastie im Westen und Osten
der Reichshauptstadt. Aber wer auch nur die Minggräber und das Westgrab von Mukden mit eigenen Augen
gesehen hat, weiß, daß hier die Herrscher Asiens Seitenstücke zu ägyptischer Grabkultur hingestellt haben.
Leider auch dieses Höchste tief verfallen, am tiefsten nicht die eigentlichen Grabbezirke, sondern die
einstigen Zufahrtswege, die richtung- und stimmunggebenden Vorspiele. Jedermann kennt die Steinalleen
von Toren, Ehrenpforten, Säulen und Statuen, die wechselnd liegenden oder stehenden Haus- und Fabeltiere
und die versteinten Höflinge. Aber ich lese selten, daß sie vor den Minggräbern nur die Einleitung gebildet
haben, den Anfang eines Weges von der Länge einer deutschen Meile, dessen einstiges Steinpflaster sich
heute in den Feldern verloren hat, dessen Brückenzüge eingestürzt sind und dessen weiterer Schmuck spurlos
verschwunden ist. In den Grabbauten selber findet man den Geist der Tempel- und Palastanlagen wieder,
Mauern, Tore, Höfe, Hallen bis zu den hochragen Denktürmen und den stillen Grabhügeln im Hintergrunde.
Kraftvoll zusammengefaßt und auch in den Einzelheiten durchgereift ist das Ahnengrab der Mandschu nordwestlich
von Mukden; ich wünschte seine stillen Höfe, hohen Mauern, stolzen Turmbauten und köstlich glasierten Zieraten
Stück für Stück beschreiben und durch Bilder anschaulich machen zu können. Man müßte nachweisen, wie
diese echt kaiserlichen Anlagen als Andachtstätten gedacht und deshalb zu Tempeln gesteigert sind und doch
aus den einfachen, allgemein gültigen Grabessitten des Volkes, den Grabfeldcrn und Denkmalen, erwachsen sind.
Über diese zahllosen Grabfelder und unübersehbar wechselnden Gestalten großer und kleiner Steine
brauchen wir eigene, umfangreiche Untersuchungen; sie könnten unserer Denkmals- und Gräberkunst zu
großem Nutzen werden. Denn der Chinese begnügt sich nie mit sentimentalen Andeutungen, mit
lyrischen Motiven, sondern wo er bildet, schafft er Form, Architektur im echten Sinne des Wortes. Er
bleibt Gestalter im Kleinen wie im Großen. Wir dürften uns glücklich schätzen, wenn wir den Problemen
der Baukunst in gleich ehrlicher, auf das Wesentliche dringenden Gesinnung begegneten. Ich glaube mich
nicht zu irren, wenn ich die Vorstellung von einer Gestaltungskunst solcher Art für das wertvollste Erlebnis
meiner Reise halte. PETER JESSEN.
Relief aus dem Kloster Pi-yün-sze in den Westbergen bei Peking
Aufnahme E. Boerschmann
Denktafel eines Fürsten. Alles geräumig, straff, sicher, groß gedacht, weit überlegen der gefälligen, oft-
mals kleinlichen Gesinnung der Japaner. Wer das im einzelnen aufzeigen wollte, müßte Tempel für Tempel
beschreiben. Das ist für Peking oft genug geschehen. Ich kann nicht umhin, meines Besuches im »Himmelstempel«
zu denken, gegen Abend während eines schweren Gewitters: wie das Blau der berühmten Runddächer und
das lichte Weiß der Terrassen sich gegen das violette Gewölk abhoben, wie der Opferplatz des Kaisers in
ehrfurchtheischender Einsamkeit dastand, und wie wir doch zu unseren Füßen frische Trümmer alter Stein-
altäre entdeckten, die kürzlich japanische Soldaten in ihrem nichtswürdigen Übermute umgestürzt hatten.
Von den großen Klöstern Chinas und ihrem für das Volkstum lehrreichen Leben konnte ich leider aus Zeit-
mangel keines aufsuchen. Aber auf dem ahberühmten Wallfahrtsberge Taischan in Schantung habe ich mich
überzeugt, wie die Chinesen einen Aufstieg über sechstausend Stufen mit zahllosen Andachtstätten, Rasthäusern,
Brücken, Ruheplätzen und als Höchstziel mehrere Gruppen ehrwürdiger Tempel gestaltend zu bezwingen
vermögen. Aus der Ebene ragt die mächtige Felskuppe schroff empor, ihrer seltenen Lage wegen sagen-
umwoben und geheiligt von alters her. Der mühselig zu unterhaltende Weg war kürzlich neu vorgerichtet
worden, als man auf den Besuch des deutschen Kronprinzen rechnete. Auch hier imponieren weniger die
vielerlei merkwürdigen Einzelstücke als die Kunst, sie alle der rauhen Felslandschaft unterzuordnen; hoch
oben vor dem entscheidenden Eingangstor klingt diese Sinfonie in den majestätischen Rhythmus einer schwindel-
erregenden, riesigen Steiltreppe aus.
Sollte ich die Macht der chinesischen Baukunst an nur einer einzigen Aufgabe zeichnen, so würde ich
dazu statt aller Paläste und Tempel die Kaisergräber wählen. Freilich müßte man alles Erhaltene besucht
haben, die ältesten Reste in Nanking, die Minggräber bei Peking, die beiden Schöpfungen der ersten Mandschu-
kaiser bei Mukden und die beiden großen Anlagen der zuletzt herrschenden Dynastie im Westen und Osten
der Reichshauptstadt. Aber wer auch nur die Minggräber und das Westgrab von Mukden mit eigenen Augen
gesehen hat, weiß, daß hier die Herrscher Asiens Seitenstücke zu ägyptischer Grabkultur hingestellt haben.
Leider auch dieses Höchste tief verfallen, am tiefsten nicht die eigentlichen Grabbezirke, sondern die
einstigen Zufahrtswege, die richtung- und stimmunggebenden Vorspiele. Jedermann kennt die Steinalleen
von Toren, Ehrenpforten, Säulen und Statuen, die wechselnd liegenden oder stehenden Haus- und Fabeltiere
und die versteinten Höflinge. Aber ich lese selten, daß sie vor den Minggräbern nur die Einleitung gebildet
haben, den Anfang eines Weges von der Länge einer deutschen Meile, dessen einstiges Steinpflaster sich
heute in den Feldern verloren hat, dessen Brückenzüge eingestürzt sind und dessen weiterer Schmuck spurlos
verschwunden ist. In den Grabbauten selber findet man den Geist der Tempel- und Palastanlagen wieder,
Mauern, Tore, Höfe, Hallen bis zu den hochragen Denktürmen und den stillen Grabhügeln im Hintergrunde.
Kraftvoll zusammengefaßt und auch in den Einzelheiten durchgereift ist das Ahnengrab der Mandschu nordwestlich
von Mukden; ich wünschte seine stillen Höfe, hohen Mauern, stolzen Turmbauten und köstlich glasierten Zieraten
Stück für Stück beschreiben und durch Bilder anschaulich machen zu können. Man müßte nachweisen, wie
diese echt kaiserlichen Anlagen als Andachtstätten gedacht und deshalb zu Tempeln gesteigert sind und doch
aus den einfachen, allgemein gültigen Grabessitten des Volkes, den Grabfeldcrn und Denkmalen, erwachsen sind.
Über diese zahllosen Grabfelder und unübersehbar wechselnden Gestalten großer und kleiner Steine
brauchen wir eigene, umfangreiche Untersuchungen; sie könnten unserer Denkmals- und Gräberkunst zu
großem Nutzen werden. Denn der Chinese begnügt sich nie mit sentimentalen Andeutungen, mit
lyrischen Motiven, sondern wo er bildet, schafft er Form, Architektur im echten Sinne des Wortes. Er
bleibt Gestalter im Kleinen wie im Großen. Wir dürften uns glücklich schätzen, wenn wir den Problemen
der Baukunst in gleich ehrlicher, auf das Wesentliche dringenden Gesinnung begegneten. Ich glaube mich
nicht zu irren, wenn ich die Vorstellung von einer Gestaltungskunst solcher Art für das wertvollste Erlebnis
meiner Reise halte. PETER JESSEN.
Relief aus dem Kloster Pi-yün-sze in den Westbergen bei Peking
Aufnahme E. Boerschmann