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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

DOI Artikel:
Jessen, Peter: Reisestudien, [9]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0268

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Die Verkündigung, Gemälde der Malerschule von Nowgord,
15.Jahrh.

zwölf Kirchen und Kapellen, seinem Zarenpalast, seinem fröh-
lich ausgemalten Refektorium, der Bibliothek und einer reich
bestellten Schatzkammer.

Auch die Kleinkunst des alten Rußland, wie sie sich in
den Schatzkammern und einigen Museen findet, steht aus
der frühen Zeit nur noch in wenigen Werken vor uns, da-
gegen weit überwiegend in den breitspurigen Prachtstücken
des Barock. Brand und Raub haben ihrer noch weniger
geschont als der Bauwerke. Nur spärliche Proben der ältesten,
von Byzanz bedingten Goldschmiedekunst sind hie und da
gerettet. Was die Museen bergen, selbst die kaiserliche Waffen-
kammer im Kreml oder das Historische Museum in Moskau,
die Sammlungen in Kiew, das Stieglitzmuseum und das so-
genannte Kunstgewerbe-Museum in Moskau, gleicht im wesent-
lichen dem meist jungen Besitz der kirchlichen Schatzkammern,
besonders der reichen Synodal- oder Patriarchenkammer des
Kreml. Das Jahr 1913 bot glückliche Gelegenheit, entlegene
Stücke kennen zu lernen, auf zwei Ausstellungen zur Jubel-
feier des Hauses Romanow, beide durch stattliche Kataloge
auf die Dauer von Nutzen.

Doch nimmt man auch aus diesen Werken der Spätzeit
eine Vorstellung von dem fabelhaften Reichtum mit, über
den im 16. Jahrhundert die Reisenden, besonders unser Lands-
mann Herberstein, Wunder berichten. Einen Grundakkord
für den Aufwand beim Gottesdienst geben schon die Meß-
gewänder, zumal die Ornate der Patriarchen und Bischöfe.
Die Paramentik der griechischen Kirche zählt weniger Stücke
als die römische. Als Obergewand der Sakkos, eine Art von
Dalmatika mit kurzen, breiten Ärmeln, vorne und hinten gleich, an den Seiten offen, stets aus reichsten
Stoffen, wie sie der Orient und die westlichen, vor allem die polnischen Webereien lieferten. Um die
Schultern schlang sich als loses Band das Omophorion; an seiner rechten Seite pflegte der Bischof ein
hängendes, rautenförmiges Abzeichen zu tragen, das bis zum Knie reichte, alles mit Gold und Silber über-
stickt und wohl auch mit Perlen und edlen Steinen dicht benäht, die der Ural schon damals hergab. Es
haben sich einzelne Besitzstücke von Metropoliten aus dem 14. Jahrhundert erhalten. Dazu röhrenförmige
Stulpen für die Unterarme. Seltsam malerisch nach byzantinischer Überlieferung die Kopftücher aus bestickter
weißer Seide mit Binden, Klobuk genannt. Zu figürlichen
Stickereien, Bildnissen von Bischöfen, der Grablegung Christi,
der Kreuzigung oder dekorativen Kreuzen boten die Bahr-
tücher und die Altardecken Anlaß; darunter klar und groß
komponierte, wirkungsvolle Erfindungen in stimmungsvollen
Trauerfarben.

Der Bischof pflegt als weithin sichtbaren Brustschmuck ein
großes Kreuz zu tragen, das meist eine Reliquie birgt, oder
eine kostbare Bildkapsel in rundem oder eckigem Rahmen,
die Panagia. Als Amulette für weitere Kreise unter der Kleidung
dienen die Halskreuze und kleineren Kapseln aus edlem und
unedlem Metall, wie sie noch heute in Massen hergestellt
werden. Die Mitra der russischen Kirche hat ihre Gestalt
mehrfach gewechselt: im 16. Jahrhundert eine bestickte, perlen-
besetzte Kappe mit Pelzrand, dann wie eine spitze Mütze,
endlich, eine echte Schöpfung des Barockstils, die noch heute
übliche, oben ausbuchtende Bügelhaube, oft mit Blattwerk und
krönendem Kreuze geziert. Der Bischofsstab gleicht einem
hohen Krückstock von der Form des Buchstabens T. Bei der
Eucharistie bedarf der Geistliche eines speerförmigen Messers,
eines Löffels und eines sog. Sterns. Ein Hauptgerät im grie-
chischen Gottesdienst ist das Weihrauchfaß, das die späteren
Goldschmiede zu üppigen, phantasievollen Gestalten ausgebildet
haben. Von den Gefäßen sind die Kannen für das geweihte
Salböl mit besonderer Liebe und Kunst durchgeführt. Die
Hostienbüchsen, die Ziborien, nehmen gern die Gestalt eines Der Heiland, Gemälde der schule von Nowgorod, lö.jahih.

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