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Kunstwart und Kulturwart — 33,2.1920

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1920)
DOI Artikel:
Bonus, Arthur: Neujahrsgedanken
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https://doi.org/10.11588/diglit.14431#0009

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Neujahrsgedanken

Wochen um die Wintersonnenwende herum, das Aufgehen neuen
jLichts in der Nacht, haben unsre Väter mit feierlichen nnd ver--
^^heißenden Namen benannt, die dazn auffordern wollten, den Sinn
auf eine Neuauffassung des Lebens zu richten. Advent oder Ankunft:
crstes Anklopfen neuen Lebens innenher an noch geschlossene Türen. Ge-
weihte Nächte: der Neugeburt. Neues Iahr. Wo Feste richtig verstanden
werden, symbolisieren sie iminer ein religiöses Grundgefühl, das durchs
ganze Leben gehen will. Unsre Religion als die Religion des Schöpferi-
schen hat in ihrem Mittelpunkt die vielfachen Symbole des alle Tage
Neuen: Die Taufe als das Hinwegschwemmen alten und Neuauftauchen
neuen Lebens. Die ewige Vergebung als stets gegenwärtigen Augenblick
neuer Einstellung. Das „Siehe, ich mache alles neu!" der Offenbarung.

Versetzeu wir nun diese Stimmung in unsere streitbare Gegenwart.

Die erste Regung neuen Lebens ist immer die Neueinstellung des
Ehrgefühls. Es ist viel von nationaler Ehre jetzt geschrieben worden und
wird noch viel werden. Das ist verständlich. Die Frage gehört zu den
wichtigsten. Schuldgefühl und Ehrgefühl sind die beiden inneren Hebel
aller Höherentwicklung. Würden sie ausgemerzt, stünde der menschliche
Aufstieg stille; ja, die erreichte Stufe ließe sich nicht mehr halten. Es darf
sich also immer nur darum handeln, in allen Lrwägungen über diese Ge-
fühle, daß an die Stelle eines Erregers, der als zu äußerlich und darum
der inneren Wahrheit widersprechend erkannt ist, ein tiefer von innen
hcr wirkender und darum tiefer eingreifender trete.

Ganz genau so, wie wenn Menschen die Freiheit genommen wird: ein
solches Schicksal stößt sie entweder in den Stumpfsinn hinab oder reizt sie,
cine tiefer innen gelegene und darum viel mächtigere Freiheit in sich zu
entdecken.

Aber gefährlich sind solche Zeiten, wie alle Morgenzeiten großer Dinge.
Die Wahrheit vom moralsreien Glauben, die Paulus verkündete, ist eine
der Formulierungen des Grundgedankens aller menschlichen Größe und
Entwicklung, nämlich, daß sie aus freier Kraft kommt und nicht auf Stelzen
eines Moralgesetzes. Aber man hielt ihr die Konsequenz entgegen: also
!aßt uns sündigen, damit Glaube und Gnade desto mächtiger werden.
Und gewiß ist diese Dersuchung eine uneingebildet wirkliche Gefahr solcher

d Ianuarheft ryro sXXXIII, 7)

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