DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1920)
DOI Artikel:Avenarius, Ferdinand: Dämmert es? Nachtet es?
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.14431#0209
DämmerL es? Nachtet es?
^>och vor zwei Iahren hat die grotze Mehrheit in allen zivilisierten
F Staaten einige elementare Sätze für allgemein gesichertes Kulturaut
^gehalten, von denen wir jetzt wissen: sie waren und sind das nicht
Ich denke da nicht an Wilsons vierzehn „Punkte«, die man als heiliae
Forderungen der Menschlichkeit hinstellte, und als Deutschland sich im Ver°
trauen darauf ergab, allesamt wegwarf. Diese „Punkte" sollten gesichertes
Kulturgut ja erst werden. Ich denke vielmehr an Sätze von einer Einfach-
heit, die niemals angefochten worden ist, bei ernsthaftem Denken niemals
umstritten werden kann, und die deshalb stets zu den Axiomen des öffent-
lichen Lebens gehört haben. So an den Satz.- ein erfoltertes Schuldgeständ-
nis gilt nichts. An den: das Erpressen eines Vertrags ist unsittlich und
entwertet ihn. Den: selbst für ein erwiesenes Verbrechen darf man nur
den Täter selbst bestrafen, nicht sein Weib und Kind, noch Unbeteiligte
sonst. Den: es gibt kein Rechtsprechen in eigener Sache. Den: der Richter
darf aus seinem Spruch keinen Vorteil ziehn. Den: man kann nicht An°
kläger und Richter zugleich sein, geschweige denn noch Vollstrecker und
Nutzer. Der Massensuggestionskrieg der Entente gegen uns hat Leistungen
gezeitigt, die rein als technische Leistungen geradezu staunenswert sind —
gibt es doch noch heute in den feindlichen, ja in den neutralen Ländern
große Gruppen, selbst Volksmehrheiten, die glauben, die Entente habe um
Selbstbestimmung der Völker, um das Recht der Schwächeren und sonst
um die hohen sittlichen Güter gekämpft, die sie mit dem Worte täglich in
hunderttausend Reden und Schreiben hochpries, während sie die Kritik
an ihren tzandlungen mit hunderttausend Absperrern und Zensoren unter-
drückte. Aber die größte technische Leistung des Massensuggerierens über-
haupt war doch, daß man so einfache Sätze und so ganz unbestrittene und
unbestreitbare Wahrheiten wie die vorhin erwähnten aus dem wachen
Bewußtsein von Millionen verdrängen konnte, während doch sclbst der
erfahrenste Suggereur nur für den hypnotisch Eingeschläferten
Kartoffeln zu Apfeln umwandeln kann.
Aber auch nach ihren Erfolgen im Suggerierkriege, der noch mehr als
die Aushungerung unser eigentlicher Besieger war, kann die Entente mit
voller Gewißheit im ganzen Umfange ihren Sieg doch nur ausnutzen, so°
1. Märzhest sd-o (XXXIII, u)
^>och vor zwei Iahren hat die grotze Mehrheit in allen zivilisierten
F Staaten einige elementare Sätze für allgemein gesichertes Kulturaut
^gehalten, von denen wir jetzt wissen: sie waren und sind das nicht
Ich denke da nicht an Wilsons vierzehn „Punkte«, die man als heiliae
Forderungen der Menschlichkeit hinstellte, und als Deutschland sich im Ver°
trauen darauf ergab, allesamt wegwarf. Diese „Punkte" sollten gesichertes
Kulturgut ja erst werden. Ich denke vielmehr an Sätze von einer Einfach-
heit, die niemals angefochten worden ist, bei ernsthaftem Denken niemals
umstritten werden kann, und die deshalb stets zu den Axiomen des öffent-
lichen Lebens gehört haben. So an den Satz.- ein erfoltertes Schuldgeständ-
nis gilt nichts. An den: das Erpressen eines Vertrags ist unsittlich und
entwertet ihn. Den: selbst für ein erwiesenes Verbrechen darf man nur
den Täter selbst bestrafen, nicht sein Weib und Kind, noch Unbeteiligte
sonst. Den: es gibt kein Rechtsprechen in eigener Sache. Den: der Richter
darf aus seinem Spruch keinen Vorteil ziehn. Den: man kann nicht An°
kläger und Richter zugleich sein, geschweige denn noch Vollstrecker und
Nutzer. Der Massensuggestionskrieg der Entente gegen uns hat Leistungen
gezeitigt, die rein als technische Leistungen geradezu staunenswert sind —
gibt es doch noch heute in den feindlichen, ja in den neutralen Ländern
große Gruppen, selbst Volksmehrheiten, die glauben, die Entente habe um
Selbstbestimmung der Völker, um das Recht der Schwächeren und sonst
um die hohen sittlichen Güter gekämpft, die sie mit dem Worte täglich in
hunderttausend Reden und Schreiben hochpries, während sie die Kritik
an ihren tzandlungen mit hunderttausend Absperrern und Zensoren unter-
drückte. Aber die größte technische Leistung des Massensuggerierens über-
haupt war doch, daß man so einfache Sätze und so ganz unbestrittene und
unbestreitbare Wahrheiten wie die vorhin erwähnten aus dem wachen
Bewußtsein von Millionen verdrängen konnte, während doch sclbst der
erfahrenste Suggereur nur für den hypnotisch Eingeschläferten
Kartoffeln zu Apfeln umwandeln kann.
Aber auch nach ihren Erfolgen im Suggerierkriege, der noch mehr als
die Aushungerung unser eigentlicher Besieger war, kann die Entente mit
voller Gewißheit im ganzen Umfange ihren Sieg doch nur ausnutzen, so°
1. Märzhest sd-o (XXXIII, u)