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Kunstwart und Kulturwart — 33,2.1920

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Heft 7 (1. Januarheft 1920)
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Aussprache mit Konservativen
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Spectator: Vorherrschaft des Judentums?
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https://doi.org/10.11588/diglit.14431#0019

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nicht durch ihre Wegleugnung. Noch durch Rückgängigmachen einer so un°
geheuren und bedeutungsvollen Entwicklung, denn die läßt sich nicht rück-
gängig machen. So wenig wie die evangelischen Staaten um s600 einfach
rekatholisiert werden konnten. Staatsmänner, die das meinteu, habeu da-
mals in den dreißigjährigen Bürgerkrieg geführt, und Staatsmänner, die
so denken, treiben heute wieder zum Bürgerkrieg und zur völligen Ausbln--
tung, aber gewiß nicht zur Einigung. Wo ist der neue Freiherr vom Stein,
der uns die neue Einheit auf Grund der neuen Freiheit schafft?

So auch die Frage nach dem „Nachtwächterstaat". So sehr Sie recht
habeu mögen darin, daß unsre Literaten zum Teil geistig über die^Kosten
leben — aber ist der Nachtwächterstaat nicht schon durch die Sozial-
versicherung Bismarcks über den Haufen gerannt? Ist das etwas andres
gewesen als der adäquate Ausdruck dafür, daß diese Nachtwächterstaats-Auf-
fassung des liberalen Kapitalismus den Fragen nicht mehr gewachsen war,
die durch das Aufkommen der Fabrikarbeiterschaft neu gestellt waren?

And sollte wirklich unser uachbismarcksches Unglück daher gekommen sein,
daß man sich den Fragen der Veränderung und Veredlung der Grundbedin-
gungeu menschlichen Zusammenseins zu günstig zeigte, und nicht vielmehr
daher, daß man diese Fragen im Haag und sonst allzu brüsk von sich wies?

Mau muß, denke ich, die Fragen so aufnehmen, wie sie gestellt sind. And
sie sind nicht so gestellt, daß die Manchestertheorie vom Nachtwächterstaat
sie noch lösen könnte. Mir scheint, das Schicksal hat sie uns s o gestellt:
l- Wie ist die nationale Einigung unter Einbeziehung der Fabrikarbeiter--
schaft zu schaffen? 2. Wie ist Deutschlands Eigentum an Grund und Boden
nnd an Betrieben jeder Art vor dem Zugriff fremder Finger zu retten?
Nimmt man sie so und achtet man darauf, daß die Sozialisierung (nicht
Derstaatlichung!), welche diese Fragen lösen könnte, zugleich auch die Frage
unsrer nationalen Zukunft nach außen beautworten würde, indem sie uns
mit den Aufsteigenden aller Völker in Interessengemeinschaft brächte, so
scheint mir, daß die Führer unsrer Zukunft — und ich stelle mir manches
Mal im geheimen Leute Ihres Schlags als solche vor — hier erstehen
werden. Hier, wo man vorgefaßte Wünsche und Meinungeu wegzuwerfen
stark genug ist und die Dinge, die wirklich sind, ins Auge zu fassen ver-
mag. Man kann aber, scheint mir, nicht damit anfangen, den Kapi-
talismus zu verurteileu und sich außer Interesse an ihm zu erklären, um
damit zu schließen, die Wiederherstellung des vom Kapitalismus zu seinem
Schuh erfundenen Nachtwächterstaats als Rettung zu fordern. Von solchem
Ausgaugspunkt aus müßte man, denke ich, noch mehrere starke Schritte
weiter tun.

Vorherrschaft des Iudentums?

^^^ie Ferien haben mich in eine stille Kleinstadt verschlagen und von
Imeineu Nachrichteuquellen getrennt. Eben damit gabeu sie mir endlich
^^Gelegenheit, die Aufmerksamkeit auf die allgemeinen Grundlagen zu
wnken, die alldem, was wir als Folgen des Krieges uud als Folgen der
geistigen, politischeu und sozialen Entwickelungen der Vorkriegszeit heute er-
^ben, in letzter Linie als Anterlage dienen. In allem vollzieheu sich ja nur
Aiöglichkeiten, die längst in der Gesamtlage enthalten waren, und die zu
baniieu oder durch große neue politische Gedanken auszulösen und in neue,
glücklichere zu verwandeln die europäische Welt weder fähig uoch gewillt war.
^ie wollte mit schroffstem Eigensinn die einnral eingeschlagenen Wege zu

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