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Kunstwart und Kulturwart — 33,2.1920

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Heft 12 (2. Märzheft 1920)
DOI Artikel:
Natorp, Paul: Was sollen wir denn tun?
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Fischer, Eugen Kurt: Hölderlin: zu seinem hundertfünfzigsten Geburtstage
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https://doi.org/10.11588/diglit.14431#0267

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Mit gewaltigem Arm, rastlos, doch immer und ünmer
Anfrnchtbar wie die Furien bleibt die Mühe der Armen . . .

Bis, erwacht vom ängstigen Traum, die Seele den Menschen
Aufgeht, jugendlich froh, und der Liebe segnender Odem
Wieder, wie vormals oft, bei Hellas blühenden Kindern
Wehet in neuer Zeit, und über freierer Stirne
lins der Geist der Natur, der fernherwehende, wieder
Stille weilend der Gott in goldenen Wolken erscheinet. . . .

Marburg Paul Natorp

Hölderlin

Zu seinem hundertfünfzigsten Geburtstage

^-^-ine Geschichte der Hölderlinverehrung und Hölderlinbewertung ergäbe
R^einen aufschlußreichen Längsschnitt durch die Entwicklung der bürger-
und artistischen Zeitideale des s9- Iahrhunderts. Der Bürger
sah in Hölderlin einen verworrenen Träumer, der dem Werthertypus oder
dem Hamlettypus angehörte, oder aber — im Verfolg dieser zweiten Ein--
ordnung — einen „pathologischen Fall", dessen ästhetische Reize man durch
eine jahrzehntelange literarische Schulung zu erkennen gelernt hatte. Der
Artist seinerseits bewunderte den Welwerneiner und Zeitverächter oder
— in der Zeit des Philhellinismus — die „Griechenschwärmerei" des
einsamen Schwaben. Eine Zeit der erotischen Welterfassung rückte das
Diotimaerlebnis einseitig in den Vordergrund. Nur einer hat vor unseren
neueren Hölderlinforschern den ganzen Hölderlin als Künstlerphilosophen
und Menschen zu erleben vermocht und zu werten versucht: Friedrich Nietzsche.
Es ist nicht nur der aphoristische Stil oder die Bildersprache, es ist das
Ningen um die Geltung des Einsamen in der Welt der Bielzuvielen,
die beider Werk und Persönlichkeit gemein ist. Der Weg zu diesem Kampf
um die Behauptung der Persönlichkeit setzt freilich ihre Entwicklung durch
all die genannten Erlebnisphasen voraus. Ein wertherischer Subjektivismus
eignet Hölderlins Stil, bis kurz vor der geistigen Umnachtung sind die
Sätze, die mit „Ich" beginnen, nicht minder häufig als Wendungen
wie: jeder Mensch weiß, ich meine, dünkt mich, wenn ich nicht irre, lache
mich nicht aus, aber . . ., nenne mich einen Kindskopf, aber . . . und
andere mehr. Und doch wandelt sich das Erlebnis unter dieser Hülle
zu inuner größerer Objektivität, das Ich weitet sich zur Welt und das
Persönliche ist immer weniger Gegensatz des Allgemeinen, während doch
Werther an diesem Gegensatz zugrunde geht. Werther will die Welt
vergessen wie Tristan, einem Gefühle ganz verschenkt. Hölderlins Ent°
wicklung aber vollzieht sich zwischen zwei Polen seines eigenen Innern:
Dem Drange zur Schau und dem zur Gestaltung. Zwischen Selbsterziehung
und quietistischen Neigungen spielt sich sein Leben ab. Er hat mit Ne°
signationsstimmungen recht schwer zu kämpfen, aber er überwindet sie und
freut sich, aus der Resignatton heraus zu sein, aus „der Totentruhe,
die bei allem Schein von Weisheit, womit sie von Feigen gepredigt wird,
gewiß das Nichtswürdigste ist, worein der Mensch geraten kann«. Es
ist falsch, in ihm einen ewigen unklaren Träumer zu sehen, denn der
Drang zur Klarheit ist der Grundzug seines Wesens. Schon als junger
Mensch schlägt er seiner Schwester einen brieflichen Gedankenaustausch über
das Thema: „Wie gelangt man zur wahren Zufriedenheit?" vor. Acht
Iahre später schreibt er an seinen Iugendfreund Neuffer: „Ans selber

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