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Kunstwart und Kulturwart — 33,2.1920

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Heft 10 (2. Februarheft 1920)
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Bonus, Arthur: Alters- und Jugendurteil
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Wilhelm, Karl: Phasen und Charaktere der Kulturen: zur Kritik von Spenglers Buch "Der Untergang des Abendlandes"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14431#0165

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steigenden und fallenden Einzelkulturen langsam und in unbeküiumerter
Erhabenheit sich auswärts schaffenden ewigen Schöpfung zu suchen und
zu pflegen.

Wir tun es, wir nehmen teil an dieser Schöpfung, soweit wir felbst
das Ungenügen der Iugend am Bestehenden in uns empfinden. Und,
was wichtiger ist: die ehrfürchtige und bejahende Andacht zum Nochnicht--
bestehenden; und zwar nicht als schöne Gedanken und ftimmunggebende
Phantasien, sondern als etwas, das uns wirklich Lebens-Sinn und Inhalt
ist und uns so im Allerinnersten entzündet und treibt. Bonus

Phasen und CharakLere der KulLuren

Zur Kritik von Spenglers Bnch „Der Untergang des Abendlandes"'

lorus verglich das römische Reich der Kaiserzeit mit einem Greise, dessen
s^VIugend- und Mannesalter längst abgelaufeu ist; uns suchte Broocks

Adams gleich manchem anderen zu zeigen, daß wir die Tekadenz der
Römerzeit bereits seit längerem an uns selbst erleben. Andere sreilich
halten uns für durchaus lebensvoll; Müller-Lyer sieht ein Zeitalter
der Sozialisation anbrechen, während die Antike über eine mittlere
Zivilisation nicht hinausgekommen sei. Er wie Hanslik weist leiden-
schaftlich auf die Anfänge der kommenden Welt-Kulturgemein-
schaft hin, die alles andere, nur kein Untergang wäre.

Geschichtsschreiber uud Gesellschaftsforscher haben vou verschiedeneu Seiteu
her die Lebeusläufe von Völkern und Kultureu vergleichend betrachtet und
gelegentlicheAusblicke auf dieZukunft versucht; die Geschichtsschreiber, durch
ihren Beruf an die Vergangenheit der Äberlieferung gebunden, mehr zögernd,
die Gesellschaftsforscher, gewohnt mit Hypothesen das Ilnbekannte aufzu-
hellen, frisch vorwärtsdrängend. Besonders anregend erwiss sich Ler Ge-
danke, daß jede Lebensordnung, jedes Volk, jede Kultur gewisse Phasen
durchlaufe, bis es die Stufe erreiche, die durch äuszere oder innere Amstände
für diese Lebensordnung, dies Volk, diese Kultur die lstzte sei. Bald waren
es große Epochen, die ein Comte, ein Spencer abgrenzten, dann
wieder verhältnismäßig kleine Unterabschnitte, wie sie etwa Lamprecht
seiner deutschen Geschichte, aber auch seinen universalgeschichtlichen For-
schungen zugrunde legte.

Vor dieser vergleichenden Betrachtungsweise konnte die verbreitete Ein-
teilung der Menschheitsgeschichte in Altertum, Mittelalter uiid Neuzeit
nicht bestehen bleiben. Was sollte das Iahr -j.76 n. Chr., als Ende des
Altertums, für China bedeuten? Was j500, als Ende des Mittelaltsrs,
für Indien? Ncin, sie erwies sich selbst für das Mittelmeerbecken und die
angrenzenden Gebiete als ungeeignet. Setzte etwa das Zeitalter Karls des
Großen die Literatur, die Wissenschaft, die Gesellschaftssormen der Cäsaren-
zeit oder des Hellenismus fort? Glich es nicht vielmehr der Frühzeit der
Antike? Fanden nicht Hellenismus und fpätrömische Kultur ihr Wider-
spiel iu der modernen Großstadtentwicklung mit ihrem intellektuellen und
finanziellen Getriebe? Den Namen Mittelalter wollten viele nur soweit
beibehalten, als er bestimmte geistige und gesellschaftliche Daseinsfornren
bezeichnet, und demgemäß von einem „griechischen Mittelalter", von einem
„ägyptischen Mittelalter" sprechen. . Alle diese Bestrebungen, eine allge-
meine Phasenlehre zu schaffen, sind auf Widerstände gestoßen; vor etwa
zwei Iahrzehnten hat Karl Lamprecht eine solche Fehde erregt. die heute
 
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