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Kunstwart und Kulturwart — 33,2.1920

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Heft 12 (2. Märzheft 1920)
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Lose Blätter
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14431#0286

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(Rufe -rinrren unö Srantzen:)

An zrvanzig Stellen zngleich! — wunder, öas macht Baal.
— Hannibal ist unter uns! — Baal ist nrit uns. — wrr wcrden
Liannibal! — wir werbcn Baal! — lsannibal ist in uns!
(Die Ruse werdsn ganz allgeinein unb überjagen sich. Männer
unb werber taunreln unb betzen über bie Bühne unö greifen
sich. Der ksatz-watznsinn wirö zur Grgie. Da fatzt er auch
öen Baribar:)

was log er da? Rannibal lebt? (Lr läuft fragenö von
einein zunr anöern:) tzannibal lebt? Du hast ihn auch gesehn?
ksannibal lebt? Mlötzlich, wie er hinausblickt:) Dort . . . öort . . .
dort . . . öer große jburxurne öort nrittsn in Baals strahlenöenr
Golökranz, -as bist öu, ja ja, ja: Ljannibal. Das bist b u.
Ghnr, Felöherr, Feuergott, öir ans bjerz! (Lr fchwingt sich über
dis Brüstung hinaus.)

(Das Rot leuchtet inrnrer glüherrber, öie Flanrnren schlagen durch
öie Fenster herein, die ljalle selber beginnt zu brcnnen, als der
Vorhang rasch sällt.)

(Ls folgt noch ein letzter Auftritt, öer auf öein Trürnrner-
felöe von Aarthago sxielt.)

Vom tzeute fürs Morgen

Gewalt

ie meisten unter uns haben früher
damit wis mit etwas Selbstverständ-
lichem gerechnet, daß sich die großen
Auseinandersetzungen der Völker un--
tereinauder gewaltsam vollziehen. So
schonend und rücksichtsvoll wir uns im
Verkehr von Mensch zu Mensch zu
benehmen suchten, so „unsentimental"
nahmen wir es hin, daß die Völker-
moral einen anderen Pflichtenkodex
habe, der Rücksichtslosigkeit, Gewalt--
tätigkcit, Brutalität nicht nur zulasse,
sondern da und dort gebiete. Gerade
ost die zartesten, feinnervigsten Men-
schsn haben den Unterschied und Ge-
gensatz zwischen Individual- und
Staatsmoral betont, und leider waren
es nicht zuletzt Theologen, die auf das
gute Recht des Totschlagens pochten,
als sei das eine Hauptsachs in Gesetz
und Propheten.

Ietzt erfahren wir die praktische An-
wendung der Gewaltethik am eigenen
Leibe. Da kommt es vielen erst zum
Vewußtsein, was es mit ihr für ein Be-
wenden hat. Für sittlich empfindende
Menschen ist es gerade angefichts der
uns zugefügten Vergewaltigung ein
entsetzlicher Gedanke, daß wir vielleicht
im Rausche des uns zugefallenen Gnd-

sieges ähnlich herzlos gegen unsre
Feinde hätten haudeln können. And
so bitter die Niederlage ist, so uner-
träglich der sich immer erueuernde
Druck der auf uns liegenden Faust,
wir können, vor die Wahl gestellt, ob
wir lieber brutale Sieger oder gequälte
Besiegte sein wollen, keinen Augenblick
zwcifelhaft sein, daß es immer noch
besser ist, Unrecht leiden, als Anrecht
tun. Gerade durch unser leidvolles
SHicksal werden wir der Gcwaltethik
innerlich entfremdet. Wir sind auch
moralisch nach dem Krieg nicht mehr,
was wir vorher waren. Frankreich hat
sich, geschlagen, an dem Gedanken der
Wiedervergeltung berauscht. Wir sind
durch unsre Niederlage aus derKriegs-
Hhpnose ernüchtert aufgewacht. Unser
weltgeschichtlicher Beruf wird es fort-
an sein, in deutscher Weise mit den
Idealen der Völkerfreundschaft ernst zu
machen, die bei anderen der Vorhang
waren, hinter dem sie sich für den bluti-
gen Waffengang rüsteten. Das vergos-
sens Blut wird nicht vergeblich von der
Erde getrunken worden sein, wenn aus
ihr die Versöhnlichkeit und Brüderlichkeit
hervorwächst, nach der sich die Seele
der Menschheit bewußt und unbewußt
schnt. Lhristiau Geyer

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