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Kunstwart und Kulturwart — 33,2.1920

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Heft 12 (2. Märzheft 1920)
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Fischer, Eugen Kurt: Hölderlin: zu seinem hundertfünfzigsten Geburtstage
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Um den Sozialismus 4
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https://doi.org/10.11588/diglit.14431#0272

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blaßt. Dilthey schreibt: „Es ist, als ob der Augenblick, in dem Goethe
so mächtig lebte, keine wahre Rsalitat für ihn hätte." Wenn Hölderlin
Naturbilder so häuft, daß mehr Anblicke auf einmal gezeigi werden, als
im günstigsten Moment vom günstigsten Standpunkt aus überblickt werden
können, so gehört das ebenfalls hierher. Von da war es nur noch ein
Schritt bis zur Zertrümmerung jeder rhythmischen und syntaktischen Fessel,
die er an der Grenze des Wahnsinns versucht. Dies stete Vorwärts-
drängen nach neuen Möglichkeiten des Erlebens und SHaffens widerlegt
die Anschauungen derer, die Hölderlins Wahnsinn aüs seiner geistigen
Verworrenheit sich entwickeln lassen. Man möchte eher glauben, daß eine
Aberklarheit ihn erfüllte, deren qualvoller Gegensatz zu dem Geisteszustand
seiner Nmwelt ihn dem Wahnsinn, der geistigsn Amlichtung (nicht
Rmnachtung) in die Arme trieb. Empedocles stürzt sich in die Lavaglut
des Atna, sein Dichter in die reinen Flammen seiner alle irdischen Fesseln
schmelzenden Seele, die sich der Weltseele einen will. Er selbst drückt am
besten aus, was wenig nachher ihm geschah:

„Der Frühling kommt. Nnd jedes in seiner Art
Blüht, der aber ist ferne,- nicht mehr dabei.

Irr ging er nun; denn allzu gut sind
Genien; himmlisch Gespräch ist sein nun."

In einem Kreislauf ging Hölderlins Leben! Vom Ich zum Du (Iugend-
freundschaft, Liebe), zum Wir, zurück zum Du (Freunde) und zum Ich
(Einsamkeit, die aber alles liebends Erleben des Du und Wir in sich
begreift). Im letzten Ich erlebt er nicht mehr bloß die Sehnsucht nach
Verschmelzung, sondern die Erfüllung, aber nicht durch ein Erlebnis der
Wirklichkeit, sondern durch Entrückung. Wenn ihn die Menschen wahn-
sinnig nennen, ist ihm wohl, denn „himmlisch Gespräch ist sein nun",
aber in den Stmrden der „Erhellung" (nach menschlichem Verstande) be-
fällt ihn Traurigkeit über sein zerbrochenes Leben und er kritzelt Verse
wie diese auf ein Stück Papier:

Das Angenehme dieser Welt hab ich genossen,

Die Iugendstunden sind wie lang! wie lang! verflossen.

April und Mai und Iunius sind ferne,

Ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne.

E. K. Fifcher

(Wir behalten uns vor, Löse Blätter aus Hölderlin in einem minderbelasteten
Hefte zu bringen, als das vorliegende ist.)

Am den Sozialismus 4

(Fortsetzung*)

^ nsere Darstellung des Entwicklungzustandes der positiven sozialistischen
^ I Lehre ist aus einem bestimmten Grunde zugespitzt auf den Gegensatz:
^^bolschewistische Lösung einerseits, konstruktive Lösung anderseits. Ehe
wir nun den Inhalt einer dieser Lehren von der Lösung der Lebensordnung-
aufgabe skizzieren, muß einiges hinzugefügt werden.

Erstens: Wir haben gesagt, daß diejenigen sozialistischen Gruppen, welche
eine konstruierende Tat für unmöglich halten, z. B. die übergroße Mehr-

* Die folgenden Darlegungen schließen sich unmittelbar an an die im vorigen
Heft wiedergegebenen und beziehen sich ausschließlich auf sie. Sie wurden lediglich
auS technischen Gründen abgetrennt.
 
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