Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 33,2.1920

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1920)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Soziale Kultur
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.14431#0059

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Soziale Kultur

er sich mcht selber betrügen will, rechnet damit, daß die heutigen
H HMachthaber der Erde darauf ausgehen, das deutsche Volk nicht nui
^^^auszusaugen, sondern womöglich auch zu brechen, zum mindesten:
bis zum Boden zu biegen. Auch unsre Kultur will man möglichst herunter-
bringen. Wir sollen im lirteil der Völker auch dann noch anscheinend zu
Recht niedergehalten bleiben, wenn sich dereinst der Suggerierkrieg gegen
uns aufgebraucht haben wird. Kein Zweifel, daß wir in Zukunft schon
deshalb bei der Pflege der Geistesgüter nach ganz andern Grundsätzen
iverden verfahreir müssen als bisher. Aber nicht nur wegen unsres „Kredits"
bei den andern brauchen wir ernsteste Kulturpflege. Wir brauchen sie
schon, weil unsre Wirtschaft sich nur auf Rohstoffveredlung in irgendeiner
Form wieder aufbauen kann. Vor allem aber brauchen wir sie natürlich
wegen unsrer Gesundheit, unsrer Kraft, unsrer Arbeit, unsres Glücks.

Zu dem, was man„Kultur-Repräsentation" nennen könnte, werden wir nicht
so bald wieder imstande sein, nicht imstande zu großen Aufwendungen, wie sie
reichen Völkern im Kulturdienst für alle wohl anstehn. Wir werden es uns ver°
sagen müssen, etwa teuerste Kunstwerke der Allgemeinheit durch Ankauf
vom Weltmarkte für öffentliche Mufeen zu sichern, großartigste Instituts-
bauten zu errichten, kostspieligste Unterfuchungen durchzuführen, die nicht
zugleich werbende Kapitalsanlage bedeuten, große Expeditionen mit rein
theoretifchen Zielen auszurüsten. Das wird nun für lange hinaus Sache
derer bleiben, die uns berauben und auspressen. Dagegen eröffnet sich uns
die Aufgabe: einen neuen Typ der Kunst- und Wissenschaftspflege heranzu--
bilden, wie er noch nirgendwo ist: einen sozialen Betrieb von Kunst
und Wissenschaft, also einen, bei dem die Wichtigkeit für die Gesamtheit
dem Privatvorteil vorgestellt wird.

2. Ianuarheft 1920 (XXXIII, 8>
 
Annotationen