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Kunstwart und Kulturwart — 33,2.1920

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Heft 9 (1. Februarheft 1920)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14431#0136

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dividuen — sie alle blieben aus. Ber-
wahrloster, ärmer, unstäter ist die Welt
geworden, das Verständnis für das
Neue wich dem Eigennutz, das Träg--
heitsgesetz triumphierte, und die Men-
schen glitten in die alten, durch die Er°
schütterungen baufällig gewordenen Ge-
häuse ihres Berufs- und Privatlebens
zurück. Nichts gelernt und nichts ver-
gessen.

Und dennoch! Die Fülle der Flug-
schriften, Reden, Organisationen, so we-
nig Früchte sie tragen, eines beweisen
sie: daß in einer Reihe von Menschen
ein Drang zur Neuschöpfung geweckt
wurde. Wird er bleiben? Die Mensch-
heit als ganze, ein Bolk als ganzes än°
dert sich seelisch kaum. Aber die weni-
gen Sehenden schauen von Iahrhundert
zu Iahrhundert klarer, obwohl der
Kampf um die Entwirrung dsr immer
verwickelter werdenden Menschheitsge-
schicke immer mehr Seelen- und Geistes-
kräfte erfordert. Und wenn die Masse
des Volkes so große äußere Erschütte-
rungen wie Kriege, Revolutionen, Seu-
chen immer wieder überwindet, so wird
sie zwar auch dadurch noch uicht anders,
aber sie bleibt juug und innerlich gläu-
big, bei aller Glaubenslosigkeit im
Sinne der Kirche. Und das ist schon
viel. Denn Glauben heißt ja doch:
Unsterblichkeit ersehnen um einer lich-
teren Zukunft willen. F

Verständnisl

einer unter uns ist so arm, daß er
nicht irgendeinmal in seinem Leben
nach irgend einer Richtung hin etwas
ihm bisher Fremdgewesenes seinem
Verständnis angeeignet hat. Etwa auf
dem Gebiete der Kunst. Babhlonische
oder japanische oder äghptische oder
auch ganz moderne. Er denke sich in
die Zeit vor dieser Rneignung zurück,
in die Zeit, wo ihm nur erst wenige
Einzelheiten dieser Kunst nahegekom-
men waren. Wie noch alles in ihm
sich dagegen wehrte. Wie er nur das
ihr Fehlende sah, etwa das Angrie-
chische, nichts aber von den eigentlichen
Werten. Wenn er überhaupt zum Ver-
ständnis jener fremden Kunst gelangte,
so weiß er, daß cr dazu einen Willens-
umbruch nötig hatte. Er mußte sich
eines schönen Tages sagen: ich will
jetzt die äghptische Kunst verstehen ler-

nen. Er wird dann zunächst einen ver-
geblichen Kampf mit seiner Abneigung
geführt haben. Dann kam er zu der
Erkenntnis, er müsse unbedingt, wenn
auch zunächst nur hhpothetisch, als Vor-
aussetzung für alles Eindringen ein
Gefühl der Sympathie für den Ge-
genstand seiner Bemühungen in sich
zu erzeugen suchen. In diesen Gestal-
ten, sagte er sich, haben Millionen
Erbauung, Erhebung, Freude gefun-
den; was war es, was sie in ihnen
sahen? Er wird dann bemerkt haberr,
er müsse diese Menschen zunächst als
Menschen kennen lernen. Ihr Land
sehen? Das wird selten möglich ge-
wesen sein. Ihre Literatur? Die würde
ihm zunächst nicht viel helfen — ich
spreche von durchschnittlicher Verständ-
nisfähigkeit — sie nähme an der Fremd-
heit teil. Aber etwa Nachrichten andrer
über Land und Leute. Schon der alte
Herodot bringt sie uns etwas näher.
Gemeinhin wird für die erste Ein-
fühlung ein Vermittler am meisten hel-
fen. Einer aus unsrer Welt, dem es
gelungen ist, in jene sich einzufühlen,
und der nun mit Verständnis und wo-
möglich einiger Begeisterung diese Men-
schen von damals unsrem Gemütsleben
näher bringt. Die Engländer haben
solche Permittler für manche fremben
Völker gehabt, wie Beecher-Stowe für
die Neger, Lafcadio Hearn für die Ia-
paner, beide stark sentimental, wie das
für Engländer nötig sein soll. Es wird
auch für die Äghpter solche Vermittler
geben. Mir leistete einst Opels „Wun-
derland der Pyramiden" diesen Dienst.
Als ich es neulich wiedersah, fand ich,
daß für neue Generationen ein neues,
weniger geschwollenes Buch geschrieben
werden müßte. Schließlich mag man
sich äuch in ihre Religion einführen
lassen. Die Originalquellen, wie Gün-
ther Röder sie in seinen verdienstvollen
„Arkunden zur Religion des alten
Äghpten" gesammelt und überseht hat,
sind uns leider noch viel fremdartiger
als die äghptische Kunst, erschweren also
das Verständnis mehr, als sie es er--
leichtern. Sie dürfen erst herangezogen
werden, wenn das Verständnis bereits
da ist, und werden es dann vertiefen
und sicherstellen. Schneller genießbar
sind die alten Märchen der Agypter.
Eine Einführung in das Leben der
 
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