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Das Mittelalter. Gotisches Gerät

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im Vierpafs die heilige Anna mit der Jungfrau und dem Kinde,
bemerkenswert durch die alte Bemalung.
Die gotischen Formen erhalten sich im kirchlichen Ge-
rät über die Zeit der gotischen Architektur hinaus. In Deutsch-
land ist diese Erscheinung weniger auffällig, da mit den Kunst-
formen der Renaissance zugleich die Reformation einsetzt,
welche das kirchliche Gerät nicht weiterbildet. Ganz verein-
zelte Versuche dazu im früheren Domschatz zu Mainz. Als
man daher in den katholisch verbliebenen Teilen Deutsch-
lands in der zweiten Hälfte des XVI Jahrhunderts wieder
beginnt, Kirchengerät herzustellen, lehnen sich die Gold-
schmiede in vielen Fällen direkt an die Typen der Voreltern an
[vgl. Eisenhoit S. 117]. Sämtliche Monstranzen des Schatzes
der S. Michael-Hofkirche in München, deren gemaltes Inventar
erhalten ist, haben gotischen Aufbau mit Ornamenten aus der
Zeit von 1570—90; Kelche in Riga von 1587 und 1622 voll-
ständig gotisch, nur mit der für das Abendmahl der Gemeinde
vergrösserten Cuppa. Erst im Laufe des XVII Jahrhunderts geht
das kirchliche Silber völlig in die Spätrenaissanceformen über.
Weit merkwürdiger ist aber die Erhaltung gotischer
Formen in der italienischen Kunst des XV Jahrhunderts. Im
Schatze des Santo zu Padua sind die Grundformen der Geräte
trotz liebevoll ausgebildeten Renaissance-Ornaments durchweg
gotisch. Beispiele italienischer Spätgotik sind im Kunstgewerbe-
Museum die Kelche von Goldschmieden aus Siena [Sehr. 378],
von denen der eine bezeichnet ist »Mateo Mini Pagliai«.
Die eingefügten Schmelzbilder sind auf Silberrelief gearbeitet.
Die Kelche gehörten ebenso wie das danebenstehende Kreuz
zu den berühmten Schmelzarbeiten von Siena, von denen der
Altar im Dome zu Orvieto 1337 von Ugolino di Maestro Vieri
die bekannteste ist.
Mit dem Ende des XV Jahrhunderts sind in Italien die
Kirchengeräte vollständig in Renaissanceformen übergegangen.
Mittelalterliche Arbeiten für weltliche Zwecke
in Edelmetall gehören zu den Seltenheiten unserer Sammlungen.
Aus romanischer Zeit sind, abgesehen von Waffen und einzelnen
Schmuckstücken, weltliche Geräte kaum vorhanden und waren
auch wohl in viel geringerer Zahl angefertigt als kirchliche.
Aus der frühgotischen Zeit hat sich in Deutschland
wenigstens ein sehr hervorragendes Stück erhalten, der
sogenannte Kaiserbecher von Osnabrück [Nachbild.
Sehr. 370]. Der Schaft des Fufses und die Figur auf der
Spitze sind Zuthaten des XVI Jahrhunderts. Der Becher ist
auf einem sechsteiligen Fufs aufgebaut und hatte wohl ur-
sprünglich einen Schaft von annähernd gleicher Höhe wie
 
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