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Martin, Rudolf
Lehrbuch der Anthropologie in systematischer Darstellung: mit besonderer Berücksichtigung der anthropologischen Methoden ; für Studierende, Ärzte und Forschungsreisende ; mit 460 Abbildungen im Text, 3 Tafeln und 2 Beobachtungsblättern — Jena, 1914

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.37612#0443
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E. Weichteile des Gesichtes.

421

L ä n g e n b r e i t e n -1 n d e x

dolichokephal
mesokephal
brachykephal
hyperbrachykephal

am Kopfe
x—75,9
76,0-80,9
81,0—85,4
85,5—x

am Schädel
x—74,9
75,0—79,9
80,0—84,9
85,0—x

Betrel'fs der Umrechnung anderer Indices vgl. die somatometrische
und kraniometrische Technik. Bei der individuellen Variabilität der
Weichteildicken können diese Umrechnungen allerdings nur für größere
Reihen als genau gelten, denn bei schlechtgenährten Individuen ist die
Differenz der Kopf- und Schädelmaße und daher auch diejenige der
Indices geringer als bei gutgenährten (WEISBACH 1889).
Auf Grund der oben angegebenen Weichteildicken sind auch
Rekonstruktionen der Gesichtsweichteile und der Physiognomie auf
bestimmte Schädel ausgeführt worden. Alle diese Versuche können
aber nur in sehr beschränktem Maße Anspruch auf Richtigkeit, d. h.
Lebenswahrheit machen, da die individuelle Variabilität der Weich-
teildicken eine sehr große ist, und da ferner die knöcherne Unterlage
keine Anhaltspunkte für die Form der Nase, des Mundes, der Ohren,
für die Art und Größe der Augenspalten, der Wangenfülle usw. gibt.
Form und Gestalt dieser AVeichteile bedingen aber in höherem Maße
als die Maßverhältnisse des Gesichtes die Physiognomie.

II. Weichteile der AugcnregioH.
Bau und Entfaltung der die Orbita bedeckenden AVeichteile des
sogenannten Lidapparates sind für Gestaltung und Ausdruck des Ge-
sichtes von größter Bedeutung. Die größere Beweglichkeit des oberen
Augenlides, die Entwicklung eines eigentlichen Tarsus, d. h. einer
wohldifferenzierten, deutlich abgegrenzten, derben und hohen Binde-
gewebsplatte, welche die MEiBOMschen Drüsen in sich schließt, sind
Bildungen, die nur bei den Primaten Vorkommen^). Im Zusammen-
hang mit dem letztgenannten Merkmal steht ferner die weite Oeff-
nung der Lidspalte in horizontaler Richtung, die.außer der Cornea
auch mehr oder weniger große Teile der Sklera freilegt, d. h. sichtbar
werden läßt. Sie erfährt ihre höchste Ausbildung beim Menschen
und ist in ihrem Entstehen vermutlich an Umgestaltungen des Nasen-
skeletes und Oberkiefers sowie an Form und Größe des Bulbus ge-
bunden.
Aber gerade im Hinblick auf die Entfaltung und die allgemeine
Form der Lidspalte bestehen auffallende Rassenunterschiede. Der
schmale, enge Augenschlitz vieler mongoloider Typen, der Busch-
männer usw. bildet einen merkwürdigen Kontrast zu der weit ge-
öffneten stark bikonvexen Lidspalte des Europäers. Die größte Höhe
der Lidöffnung bei letzterem beträgt im Mittel 10 mm, beim Japaner
nur 8,78 mm. Die geringste Lidöffnung im vertikalen Sinne haben
Tschuktschen, Jakuten, Tungusen, Ostiaken, Samojeden, Lappländer,
Eskimo, Buschmänner und Hottentotten (Fig. 148).
Nicht zu übersehen ist, daß eine enge Lidspalte bei häufiger
Sonnenblendung durch habituelle Muskelkontraktion erworben werden

1) Bei Haussäugetieren finden sich tarsusähnliche Differenzierungen, die von
verschiedenen Autoren auch als „Tarsus" bezeichnet werden.
 
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