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Martin, Rudolf
Lehrbuch der Anthropologie in systematischer Darstellung: mit besonderer Berücksichtigung der anthropologischen Methoden ; für Studierende, Ärzte und Forschungsreisende ; mit 460 Abbildungen im Text, 3 Tafeln und 2 Beobachtungsblättern — Jena, 1914

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.37612#0661
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D. Der Schädel als Ganzes.

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Orbitalia, nicht gleich hoch, d. h. in verschiedener Entfernung von
einer Horizontal-Ebene des Schädels gelegen sind. Eine sagittale
Asymmetrie des Schädels besteht, wenn 2 symmetrische Punkte nicht
gleich weit von der Mediansagittal-Ebene gelegen sind oder wenn
Punkte dieser anatomischen Ebene außerhalb derselben fallen. Eine
dritte Möglichkeit ist die transversale Asymmetrie, bei welcher 2 Punkte,
wie z. B. die beiden Poria, nicht in derselben Frontal-Ebene liegen.
Natürlich kann ein und derselbe Punkt nicht nur in einer, sondern
in zwei und sogar in drei Richtungen asymmetrisch sein i).
Im Hinblick auf die mediansagittal gelegenen Punkte zeigt das
Schädelgewölbe eine größere Asymmetrie als Gesichtsskelet und
Schädelbasis. Nimmt man als „geometrische Medianebene" eine Ebene
an, die senkrecht auf der Ohrebene steht, so kann man die Größe
der Deviation der einzelnen Punkte nach rechts oder links von
dieser Ebene bestimmen. Rechtsseitige Abweichungen kommen am
häufigsten, nämlich in 57 Proz. vor. linksseitige finden sich nur in
30 Proz., und in 12 Proz. besteht eine Art von Kompensation, indem
die Abweichungen nach beiden Seiten ziemlich gleich groß oder gleich
zahlreich sind (SciiREiBER). Voraussetzung bei dieser Art von Messung
ist allerdings, daß die Ohrpunkte symmetrisch gelegen sind, was wohl
nicht immer zutrifft. Denn nach den Untersuchungen PuGLiEsis bildet
die Transversal-Ebene mit der Mediansagittal-Ebene keinen rechten
Winkel, sondern der linke vordere Quadrant ist meist besser ent-
wickelt, als der rechte.
Am seltensten weicht das Staphylion, am meisten das Bregma ab.
Nach CoRAiNi trifft beim Menschen, wie übrigens bei den meisten
Säugern, die Sagittalnaht am häufigsten auf die linke Hälfte der
Ooronalnaht. Am Schädelgewölbe fallen nur 36 Proz., am Gesichts-
schädel 46 Proz. und an der Schädelbasis 53 Proz. der anatomischen
Medianpunkte mit der geometrischen Ebene zusammen. Asymmetrien
des Nasenseptums, der Ohoanen, der Spina nasalis anterior und der
Nasalia selbst, sind fast an allen Schädeln zu beobachten; die Ver-
biegungen des ersteren finden sich schon embryonal. Rasse und
Schädelform scheinen keinen Einfluß auf die Art der Asymmetrie zu
haben.
Die Ursachen der Asymmetrie sind teils physiologischer, teils
pathologischer Natur. So wird die Lage des kindlichen Kopfes in
der letzten Zeit der intrauterinen Periode besonders für die Gesichts-
asymmetrien verantwortlich gemacht (WELCHER, LiEBREicH). ln letzter
Instanz ist die Asymmetrie dann eine Folge des aufrechten Ganges,
weil die typischen Wirbelsäulenkrümmungen und die Verkürzung des
antero-posterioren Durchmessers des Beckens, die zur Seitenlage des
Fetus führen, innig mit ihm Zusammenhängen. Aber auch die Erblich-
keit spielt eine Rolle. Die Asymmetrien des Gehirnschädels sollen
mit der verschiedenen Größe der Hemisphären, besonders der parietalen
und frontalen Assosiationszentren, die selbst eine Verdrängung der
Orbita verursachen können, im Zusammenhang stehen (SCHREIBER).
In vielen Fällen sind die Asymmetrien des Schädels aber sicher
rein kompensatorische Bildungen irgendwelcher kleinerer oder größerer

1) Apparate zur genauen Bestimmung der Asymmetrien des Schädels vgl.
bei v. TÖRÖK (1886), TEDESCHi (1900) und SCHREIBER (1907). Es kann dazu aber
auch der Kubuskraniophor mit Dioptrograph oder Diagraph verwendet werden.
 
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