Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 12.1969

DOI Heft:
Nr. 3
DOI Artikel:
Zeitschriftenschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33082#0055

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
verständliche Darlegung der Forschungsrichtung. Für den Lehrer ist sie nicht völlig
neu. Das Aufsuchen von Merkmalen und ihre pyramidenförmige Anordnung vom
Allgemeinen zum Besonderen ist bekannt bei Ratespielen, die einen bestimmten Be-
griff erfragen lassen, und bei Wortschatzübungen, wie sie Schüler gerne machen
(Beispiel S. 6 „Junggeselle“: „Physikalische Gegenstand“, „Lebend“, „Menschlich“,
„Männlich“, „Erwachsen“, „noch nie verheiratet“). Dann wird aber in einer an-
sprechenden Kritik die Sprachtheorie der transformationellen Grammatik und be-
sonders ihrer Semantik abgelehnt. Ärgerlich für den Lehrer, der keine Zeit zu ver-
schwenden hat und nun nicht weiß, ob er sich überhaupt mit dieser Forschungsrichtung
befassen soll, peinlich für die Zeitschriff, die doch der modernen Linguistik eine
Gasse bahnen soll und nun im allerersten Aufsatz ihre bekannteste und modernste
bzw. modischste Schule ablehnt. Ein zweiter Aufsatz von K. Brockhaus, Privat-
dozent für allgemeine Sprachwissenschaft in Konstanz, Snbjekt und Prädikat in
Grammatik und Logik kommt zu dem ähnlich betrübenden Ergebnis, daß aus der
prädikatenlogischen Darstellung eines Satzes Rückschlüsse auf die linguistische Struk-
tur nicht zu ziehen seien. Ist es also nichts mit der kühnen Behauptung von Bierwisch
(Kursbuch 5, 145), daß der Tiefenstruktur des Satzes die Formel des Prädikaten-
kalküls entspreche, was, falls es doch richtig sein sollte, für die Didaktik der Alten
Sprachen von eminenter Bedeutung wäre. Ein Aufsatz von R. G. van de Velde,
Assistent in Gent, über Probleme der Nominalgruppe (noun phrase) im Altfriesischen
ist für den Altphilologen von Bedeutung, weil gezeigt wird, welchen Einschrän-
kungen die Anwendung moderner linguistischer Methoden bei der Untersuchung
toter, nur schrifflich überlieferter Sprachen unterliegt. Ein Aufsatz über den Aspekt
im Japanischen liegt für uns zu weit ab.

Bei der modernen Linguistik zeigt sich vielfach nicht nur eine Abneigung gegen die
Sprachgeschichte, sondern auch gegen die geschichtlichen Voraussetzungen der eigenen
Wissenschaft. So ist bei Brockhaus unbefriedigend, daß auf die von H. Paul und
G. v. d. Gabelentz vorgenommene Scheidung zwischen grammatischem und psycho-
logischem Subjekt nicht einmal hingewiesen wird. N. Chomsky, der Begriinder der
transformationellen Grammatik, hat nun in einem Buche Cartesian Linguistics
fast 10 Jahre nach seinem ersten Vorstoß die historische Grundlage, die bis Descartes
zurückreicht, nachgeliefert. H. E. Brekle aus Tübingen gibt eine lehrreiche und auch
im Historischen sachkundige Besprechung. Ob die philosophische Basis Chomskys,
der sich gerne etwas leicht macht, wirklich gesund ist, wie Brekle meint (62), wage
ich noch nicht zu entscheiden. Es zeigt sich ein Widerspruch, wenn Gauger (13) fest-
stellen will, daß die Sprachtheorie der transformationellen Grammatik am Modell
des Automaten orientiert sei, während Brekle (53) Chomskys Behauptung für zu-
treffend hält, daß es keine mechanistische Erklärung für das kreative Prinzip der
Sprache gebe. Der Altphilologe wird aufmerksam, wenn er hier liest, daß Karl
Ferdinand Becker, der die deutsche Schulgrammatik und im Laufe des vorigen Jahr-
hunderts imme-r mehr auch die altsprachliche Schulgrammatik wesentlich bis auf den
heutigen Tag bestimmt hat, völlig im Geiste W. v. Humboldts geschrieben habe (63).
Hat man also mit Recht diese Schulgrammatik vielfach als dem Geiste Humboldts
widersprechend verschrien?

Im Fazit kann der Schulaltphilologe begrüßen, daß die Probleme der Sprachlehre
an Universität (H. Weinrich, 81) und Schule, der Ausbildung der Sprachlehrer und
der Spracherlernung überhaupt ihren festen Platz zugesprochen bekamen. Andrer-
seits betrübt es den Rezensenten, daß für die Kollegen, die in der modernen Lin-
guistik „viel Geschrei und wenig Wolle“, jedenfalls was ihre Bedürfnisse betrifft,
sehen, auch aus diesem Heft nur mit Mühe und viel selbständigem Weiterdenken
etwas unmittelbar Förderliches auszuziehen ist. Bis jetzt scheint es immer noch so,

15
 
Annotationen