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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 32.1989

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Nr. 2
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Aufsätze
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Sallmann, Klaus: Experiment AnGeRo-Tagung in Bonn
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https://doi.org/10.11588/diglit.35870#0036

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Experiment AnGeRo-Tagung in Bonn

Daß Tagungen ihre Publicity suchen und brauchen, ist selbstverständlich. Neu ist die
Erfindung von Tagungen um der öffentlichen Aufmerksamkeit willen, oder anders ge-
sagt, von Tagungen, deren Programm die eigene Publicity ist. Unter dem Neugier
weckenden Namen AnGeRo veranstalteten Anglistentag, Deutscher Germanistenver-
band und Deutscher Romanistenverband vom 8. bis 10. März in der Bonner Universi-
tät eine gemeinsame Präsentation ihres öffentlichen Selbstverständnisses unter dem so
zeitgemäß klingenden Motto Sprache - Literatur - Kultur ln der /nformabonsgese/h
schaff. Was Wunder, daß andere Philologien, nicht zuletzt die Klassische, annehmen
mußten, hier wollten sich die Großen auf Kosten der Kleineren breitmachen. Hinzu
kam, daß schon im Einladungsprogramm von humanistischen Zielsetzungen die Rede
war (ohne dieses Wort zu gebrauchen) - Literatur als ,,Tei! der ästhetischen Erziehung"
-, die als Erbmasse der elf Monate zuvor am gleichen Ort getagten Altphilologen ver-
standen werden konnten; vertreten wurde dieses Programm allerdings fast nur von
dem Freiburger Anglisten Erzgräber, der auch dem DAV ein guter Dialogpartner sein
könnte. Zum anderen mag der erklärte Verzicht der Tagungsleitung auf die Mitwir-
kung von Mommsengesellschaft und DAV, auch nur beim Schlußpodium, nicht eben
vertrauensbildend gewirkt haben.
Trotzdem: Der Verdacht erwies sich als unbegründet. Den AnGeRo-Leuten ging es um
den Aufbau eines geachteten und beachteten Platzes in einer von Technik,
Wirtschafts- und Naturwissenschaften beherrschten Welt, von der sie sich immer
mehr an den Rand gedrängt, ja, ausgegrenzt sehen. So war bei den Frontkämpfen im-
mer nur allgemein von ,,Geisteswissenschaften" die Rede, und der Mitveranstalter
und Germanistenverbandsvorsitzende Johannes Janota versicherte dem Berichterstat-
ter, daß man sich künftig auch der Solidarität der anderen Philologien versichern wolle
- die Slavistik war faktisch bereits vertreten -, vor allem aber der Historiker. Das Bemü-
hen der Veranstalter um Gesprächspartner aus den möglichen Abnehmerkreisen für
Philologen, also um Vertreter der großen Verlage, Wörterbuchinstitute, Rundfunk-und
Fernsehanstalten, Filmgesellschaften, der Politik und Industrie, ist sehr anzuerkennen,
wurde aber eher mit freundlicher Sympathie als mit handfesten Angeboten belohnt.
Im Gegenteil, der Eindruck war kaum abzuweisen, daß bei den ,,Abnehmern" der jet-
zige Zustand des freien Zugriffs auf ein großes Potential wartender Akademiker, von
denen nur die dynamischsten eine Chance haben sollen, dem eigenen Bedürfnis am
besten entgegenkommt. Das Wesen der ,,Informationsgesellschaft" (ein Begriff, mit
dem nicht viel anzufangen war) scheint auch darin zu bestehen, daß zum Wissen die
Fähigkeit gehört, sich Kenntnisse über Bedarfstücken selbst zu verschaffen einschließ-
lich des Weges, der zur Auffüllung der Lücke führt: Qualitätsauswahl durch Clever-
ness.
Die Schule kam in Bonn nicht vor, oder nur insoweit, als sie nicht mehr als Berufsziel
für Philologen ernstlich zählt. Das haben die als Festredner eingeladenen Ministerprä-
sidenten Johannes Rau und Lothar Späth keineswegs bestritten, obwohl auch sie, Odo
Marquards Kompensationstheorie als geisteswissenschaftlicher Würde unangemessen
abweisend, keine rechte Zukunftsaufgabe wußten, - es sei denn als fördernder
Schmierfilm bei der sprachlichen Integration Europas. An das gemeinsame Funda-

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