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Lorke, Ariane; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Contr.]; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0180
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II.4 Zusammenfassung

179

Aber nicht nur gesellschaftliche Gruppen, sondern auch Regionen bzw.
Städte wurden von einer jeweils eigenen Kombination der Kritik an den ge-
nannten Sachfragen erfasst. Dies wird an der patarenischen Bewegung Ober-
italiens deutlich, deren bestdokumentierter Fall die Mailänder Pataria darstellt.
Deren zentrale Ereignisse liegen zwar etwas außerhalb des Untersuchungszeit-
raumes, doch verkörpern gerade sie neben den Wirkmöglichkeiten der frühen
Kirchenreform die zunehmende Politisierung der Diskussionen. Neuerungen
aus all diesen Bereichen fanden Eingang in sich rasch verbreitenden Rechts-
sammlungen, die dadurch sowohl das neuartige Gedankengut kodifizierten als
auch eine gemeinsame Diskussionsgrundlage schufen. Oder, wie Laudage es
ausdrückte: „ohne die von der Kanonistik bereitgestellten theoretischen
Grundlagen hätte die Durchsetzung der Reform eines wichtigen Hilfsmittels
entbehrt"1038.
Personelle und institutionelle Beteiligung an der Kirchenreform umschließt
einerseits passive Betroffenheit, beispielsweise eines Kanonikers von der Reform
seines Kapitels, andererseits aktives Engagement für die Thematisierung, Be-
deutungsgenerierung oder Umsetzung von Reformfragen. Dies betrifft Bereiche,
in denen das Handeln von sozialen Gruppen zugleich Gegenstand der Kritik
war, wie im Falle der Laien: Während ihre traditionelle Einflussnahme auf das
religiöse Leben im Verlauf des 11. Jahrhunderts zunehmende Kritik erfuhr, ja
geradezu als Grundursache aller kritisierten Phänomene diskutiert wurde, ge-
stattete gerade diese Einflussnahme ein weit verbreitetes laikales Engagement
für die Durchsetzung von Simonie- und Nikolaitismuskritik, weil auch ein Teil
der Laien in Sorge um ihr Seelenheil von den neuen Idealen ergriffen wurden. Je
nach Einflussmöglichkeiten und Interesse traf dies auf alle beteiligten Gruppen
bzw. die in diesen versammelten Personen zu: Sie verschrieben sich selbst den
neuen Idealen, regten andere zu deren Verinnerlichung an, wurden aber meist
zugleich von anderen Personen reformiert. Auf diese Weise entstand ein wech-
selseitiges verzweigtes Netz von Einflussnahme und Betroffenheit.
Neue Geisteshaltungen, die im Rückgriff auf urkirchliche Bestimmungen
den Wert eines moralisch und sittlich einwandfreien Lebens als ideal betrach-
teten, sind in allen quellenüberliefemden Schichten der damaligen Bevölkerung
zu erkennen. Es blieb jedoch nicht bei einem simplen Wandel der Ansichten.
Trotz der eingeschränkten Überlieferung sind noch heute weit über 60 Personen
als aktiv handelnde Reformer zu erkennen. Verhältnismäßig überwiegt auf-
grund der mittelalterlichen Verschriftlichungsabsichten das aktive und indivi-
duelle Engagement, wohingegen indirekte Unterstützung nur gelegentlich und
zufällig zu konstatieren ist. Deutlich tritt jedoch zu Tage, dass nur ein kleiner Teil
dieser Personen lediglich auf die eigene Lebenswelt und deren Besserung
schaute, während ein Großteil über den eigenen Tellerrand hinaus verschiedene
Lebensformen aktiv beeinflusste. Das trifft insbesondere auf Teile des Episkopats
zu. Dabei darf freilich nicht übersehen werden, dass Bischöfe zwar mindestens
ebenso häufig wie ihr Klerus simonistischer und nikolaitischer Vergehen be-

1038 Laudage, Reform 1993, S. 62.
 
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