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Lorke, Ariane; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Contr.]; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0193
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192

III Kommunikation über Kirchenreform zur Zeit Heinrichs III.

Hingegen beschwerte er sich mehrfach über ein Desinteresse seiner Brief-
partner: Der persönliche Kontakt bei Treffen sei herzlich und ließe keine Wün-
sche offen - doch kaum trenne man sich, werde er völlig ignoriert, erhalte weder
mündliche noch schriftliche Grüße, werde sogar verspottet.1088 Ob der Spott nur
rhetorische Spitze oder Tatsache war, Damiani zeigt mit dieser Formulierung
Enttäuschung über ein seiner Ansicht nach unangemessenes Verhalten. Die im
direkten Miteinander harmonische Beziehung leide unter der örtlichen Tren-
nung, woran die ausbleibende Kommunikation eines Partners Schuld trage.
Darin wird nicht nur die erhöhte Komplexität und damit Störanfälligkeit der
Fernkommunikation im Vergleich zum direkten Austausch deutlich, sondern
auch, dass postalische Kommunikation idealerweise symmetrisch ausgelegt sein
sollte, die Grundregel epistolarer Vernetzung also Reziprozität lautete.1089 Blieb
diese aus, gab sie Anlass zu Zweifeln am ausgeglichenen Zustand der zwi-
schenmenschlichen Beziehung.
Die generelle Frequenz des Briefverkehrs müsse laut Baronio aber nicht
zwingend auf eine geringe Intensität der Beziehung hinweisen. Er vermutete
anhand der wenigen überlieferten Briefe an Hildebrand, hingegen einigen mehr
an Desiderius von Montecassino und Hugo von Cluny, dass die Freund-
schaftsbekundungen für Letztere intensiver sein mussten, da Damiani sie so
selten sah - mit Hildebrand hingegen habe er Stunden um Stunden verbracht.
Darin offenbare sich ihre wahre Freundschaft, die nicht gesondert zu belegen ist
und der hostilis cimicus meus könnte gerade das Gegenteil bedeuten.1090
Nach Reindel galt Damianis eigentliches Streben einer möglichst öffent-
lichkeitswirksamen Streuung seiner Ideen.1091 Diesem Gedanken nachgehend
formulierte er folgende These: Weil Damiani gelegentlich auf ältere Briefab-
schnitte zurückgriff, sie als Versatzstücke in späteren Briefen verwendete und
mehrfach sich selbst als eigentlichen Adressat ins Feld führte, könnten die
Adressaten für Damiani eine eher zweitrangige Rolle eingenommen haben.
Wäre es möglich, dass Stil und Argumentation eher den Gegenstand und we-
niger den Adressaten fokussierten?1092 Die Existenz zahlreicher Gegenbeispiele,
welche Reindel selbst einräumte, lässt sich mit Blick auf zwei Funktionen von
Gedächtnis erklären, wie sie von Moos allgemein beschrieb: Einerseits „eine
alltägliche, profane, operative, interaktionelle und eine heilige, normative,
identitätsfundierende" andererseits. Texte müssten auf deren jeweiligen Anteil
an „kommunikativer" oder eben „kultureller" Funktion hin befragt werden,
wobei die Übergänge fließend seien.1093 Genau dies trifft m.E. auf die damiani-
schen Briefe zu. Sie bewegen sich zwischen den zwei Polen,adressatenorientierte
Nachricht' und ,allgemein erbauliche Erörterung': Nachrichten enthalten Infor-

1088 Ders., Briefe 2, Nr. 57, S. 164, Z. 4-14 an Papstelekt Gerhard von Florenz; Nr. 75, S. 375, Z. 20 - S.
376, Z. 5 an Hildebrand; Nr. 95 an Desiderius von Montecassino (s. unten Anm. 1106).
1089 Ein ähnliches Ergebnis für die frühe Neuzeit bei Kempe, Maschen 2008, S. 31 If.
1090 Baronio, Amicus 1986, S. 67.
1091 Vgl. Reindel, Petrus 1975, S. 218.
1092 Ebd., S. 218f.
1093 Moos, Mündlichkeit 2006, S. 233f.
 
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