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Lorke, Ariane; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Contr.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0202
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III.2 Personelle Aspekte

201

Sein rekonstruiertes Korrespondenznetzwerk ist als extrem ego-zentriert zu
bezeichnen:1126 Als zentrale Person war er zwar mit allen anderen Personen des
Netzwerks verbunden, diese standen untereinander aber nur zweimal in brief-
lichem Austausch, soweit die Überlieferung sehen lässt. Reinhardt zufolge be-
deutet dies, dass Damiani alle Verbindungen kontrollierte, während die
Adressaten von seiner Vermittlung abhängig waren und über geringere Chancen
verfügten, auf die anderen Korrespondenten Einfluss zu nehmen.1127 Diese
quantitativen Betrachtungen lassen sich bereits durch erste qualitative ergänzen.
Damianis kirchenreformerisch relevante Briefe dienten abgesehen von wenigen
privaten Einsprengungen vor allem dem Transfer von Ansichten und Wissen,
indem nicht nur die eigene Meinung, sondern auch lokale mündliche Kommu-
nikation gebündelt1128 übermittelt wurde, teilweise unterstützt durch Beilagen
wie Freundschaftsgeschenke. Sie waren aber auch ein strukturelles Instrument
reformerischer Organisation: Wie oben beschrieben, ließ sich mit ihrer Hilfe die
Bereitschaft zur Unterstützung ausloten. Sie ermöglichten zudem einen Mei-
nungsaustausch über bestimmte Personen oder Themen, ja eine regelrechte
Streitkultur,1129 und trugen so über Inklusion und Exklusion zur Identitäts-
schaffung und Gruppenbildung bei, ohne den Einfluss einer verantwortlichen
Reform-Institution.
Die räumliche Trennung der Beteiligten wurde überwunden, indem die
Korrespondenz wie ein Fernrohr den Radius der Wahrnehmung vergrößerte
und zugleich das persönliche Involviertwerden in einem für den Eremiten
willkommenem Maße verringerte.1130
III.2.1.1.2 Kommunikationsverhalten Petrus Damianis
Nach dieser Korrespondenzanalyse weitet sich nun der Blick auf das kirchen-
reformerische Kommunikationsverhalten des Eremiten. Die Analyse setzt mit
Beginn der Überlieferung zu Damiani ein und arbeitet sich bis zum Ende des
Untersuchungszeitraumes vor. So wird dem prozessualen Charakter individu-
eller Kommunikation Rechnung getragen.
Damiani stand mit seinem Metropoliten Gebhard von Ravenna, der ihn
geweiht hatte und sich insbesondere im Widerstand gegen die Simonie hervor-
tat, auf gutem Fuße.1131 Dieser verstarb im Februar 1044 und wurde von Heinrich
III. durch den Kölner Domherrn Widger ersetzt.1132 Damiani fügte sich dessen
und des Volkes Bitte nach einem Besuch in Ravenna, musste dort aber erkennen,
dass „weder der neue Erzbischof seinen Erwartungen entsprach, noch das Volk

1126 Die Dichte als Verhältnis von allen möglichen zur den tatsächlich vorhandenen Kontakten
beträgt nur 0,025 bei einem möglichen Maximalwert von 1,0. Die Quellenlage bestimmt diesen
Befund allerdings massiv.
1127 Reinhardt, Macht 2000, S. 43.
1128 Beispielsweise Petrus Damiani, Briefe 1, Nr. 39, S. 374, Z. 1-4; vgL Kempe, Korrespondenzen
2004, S. 423.
1129 S. unten Anm. 1168, 1213 und vgl. Petrus Damiani, Briefe 3, Nr. 99 und 107.
1130 Für die frühneuzeitliche Wissenschaftskultur analog Kempe, Korrespondenzen 2004, S. 422.
1131 Petrus Damiani, Briefe 1, Nr. 3.
1132 Laqua, Traditionen 1976, S. 112 sprach von Niedergang bis „Tiefstand der Bischofsherrschaft".
 
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