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Lorke, Ariane; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0292
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III.3 Strukturelle Aspekte

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Klöster plünderte und deren Güter seinen eigenen schenkte, die er wiederum wie
im Falle der Badia di Firenze durch Reformäbte zu beeinflussen suchte.
Ähnlich gelagert, wenn auch nicht ganz so eindrücklich, sticht zweitens
gleichzeitiges kritisierendes wie unterstützendes Verhalten ins Auge: So muss
die Ignoranz Papst Leos und Petrus Damianis gegenüber der Verwandtenehe
Heinrichs III. erstaunen, setzten sich doch beide Kleriker an anderen Stellen für
die strengeren neuen Normen zur Verwandtenehe ein.
Drittens wäre die bewusste Ignoranz von neuen, bereits normierten Ideen
zum eigenen Vorteil zu nennen. So verschlossen die Synodalen in Tribur 1036
offensichtlich absichtlich ihre Augen vor der Sammlung Burchards von Worms
und erteilten Dispens für eine Verwandtenehe, um nicht zuletzt die umfang-
reichen Entschädigungsleistungen zu erhalten. Dafür spricht, dass das Diskus-
sionsergebnis nicht wie die übrigen Synodalthemen im abschließenden Dekret,
sondern in einer separaten, weniger breitenwirksamen Urkunde dokumentiert
wurde.
Dass es sich bei der Kirchenreform um ein Phänomen handelt, das sich aus
verschiedenen Themen speiste, die sich nicht immer gegenseitig bedingten,
sondern zuweilen ergänzten, zeigt das ambivalente Verhalten der folgenden
Fälle. Denn Engagement für ein Reformthema bedeutet viertens nicht zwangs-
läufig eine ebenso progressive Meinung bei anderen Themen - es kann sogar das
Gegenteil der Fall sein. Während Bischof Atto I. von Florenz 1035 eine simo-
nistische Abterhebung in San Miniato in Florenz vollzogen haben soll, refor-
mierte er mithilfe Papst Benedikts IX. im Jahr darauf sein Kathedralkapitel. Auch
Rainald von Como bewies u. a. mit der Reform einer Kollegiatskirche 1063 Re-
formtendenzen, musste aber dennoch für die bereits als simonistisch gebrand-
markte Vergabe des Chrisma 1064 von höchster Stelle getadelt werden.
Den fünften ambivalenten Bereich der Öffentlichkeit(-swirksamkeit) macht
ein Blick auf Petrus Damiani deutlich. Zwar kämpfte er an allen erdenklichen
Fronten für die Kirchenreform und suchte dafür aktiv Kontakt zu einflussreichen
Personen, stand einer institutionellen Einbindung aber andererseits so kritisch
gegenüber, dass er um Entlassung aus seinen Kirchenämtern ersuchte, die ihm
den gewünschten Einfluss doch erst ermöglicht hatten. Ebenso kritisierte
Damiani auf der einen Seite das öffentliche Predigen eines Eremiten zum Wohle
der Reform, war aber auf der anderen Seite selbst Eremit und dennoch einer der
eifrigsten Redner, der zudem explizit für eine größtmögliche Öffentlichkeits-
wirksamkeit des Reformdiskurses eintrat. Diese Öffentlichkeit suchten auch
andere wie Papst Leo IX. und standen damit einer nicht kleinen Zahl von Per-
sonen gegenüber, die wie Erzbischof Heinrich von Ravenna oder der Turiner
Klerus auf kircheninterne Diskursbeschränkungen Wert legten.
In vielen Fällen trugen sechstens Laien mit Schenkungen, Zeugenschaft und
anderen Aktivitäten zur Umsetzung von Reformanliegen wie dem geistlichen
Gemeinschaftsleben, der Bekämpfung von Simonie, Nikolaitismus sowie Ent-

Allein Kleriker mit einwandfreiem Lebenswandel und geistlicher Bildung sollten unter Ver-
meidung jeglicher Geldzahlung und Pfründenakkumulation ausgewählt werden, so T. Schmidt,
Alexander II. 1977, S. 45.
 
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