Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Lorke, Ariane; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0295
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
294

III Kommunikation über Kirchenreform zur Zeit Heinrichs III.

Während zu Beginn keine zentralen Personen mit überragendem Engage-
ment auszumachen waren, nahmen ab 1045 Leo IX. und Heinrich III. Schlüs-
selpositionen ein, wobei Letzterer sich ab den 1050er Jahren rasch zurückzog,
und das Feld dem Papsttum überließ, welches alsbald zur geographischen
Ausweitung erfolgreich Kardinäle einsetzte. Generell ist das Netzwerk über die
Jahre hinweg deutlich hierarchisch strukturiert: Von wenigen zentral stehenden
Knoten mit mehrfachen, also nachhaltigen, Verbindungen gehen lineare, sich
aber teilweise auch auffächemde Kontakte aus, wobei die netzartigen Strukturen
von Innen nach Außen ausdünnen (Abb. 76f.). Diese wenigen Zentralpersonen,
die netzwerkanalytisch so genannten gate keeper, zu denen Heinrich, Petrus
Damiani, Leo und andere Päpste gehören, bilden die Schaltstellen des Diskurses:
Sie empfingen und sammelten Informationen, entschieden über deren Gehalt
und Relevanz, wählten aus diesen aus, verteilten sie oder hielten sie zurück,
gaben sie an ihre direkte Umgebung oder gezielt an periphere Regionen1485
weiter - kurz: sie regulierten den Informationsfluss.
Über 70% der am Diskurs Beteiligten hingegen sind lediglich Empfänger
oder Dienstbefohlene, von denen häufig nicht einmal eine Reaktion überliefert
ist. Sie finden sich vor allem in den äußeren Regionen des Clusters, weisen
lediglich eingehende Kontakte und das Fehlen netzartiger Verbindungen auf. Bei
einer für die Zukunft der NWA wünschenswerten dreidimensionalen Netz-
werkdarstellung würde zudem deutlich werden, dass es sich dabei vor allem um
Kleriker handelte.
Aktionsgemeinschaften traten kontinuierlich als kurzlebige kleinere sepa-
rate Cluster immer wieder zutage (türkis markierte Kontakte in Abb. 77), bil-
deten aber auch Teile des Hauptclusters, wie beispielsweise die Mailänder Pa-
taria (rot markierte Kontakte) oder die kleinsten Cluster am unteren Abbil-
dungsrand verdeutlichen.
Hinsichtlich des Raumes fanden erste Kontakte vor 1030 zwar hauptsächlich
auf deutschem Gebiet statt, doch gingen diese bis Ende der 1040er Jahre sehr
zurück, um erneut in Form der Mainzer Synode manifest zu werden und
schließlich bis 1064 wieder auf ein Minimum zurückzugehen. Bindet man diese
Beobachtung an die Quellen zurück, so handelt es sich bei den Spitzen um hoch
angebundene, synodale Treffen zu einer Fallklärung höchster Brisanz bzw.
später zur Normierung des gesamten Klerus. Dazwischen wurden allenfalls
kleinere Synoden zur Klärung akuter Streitfälle abgehandelt. Diese konvulsive,
nicht-lineare Entwicklung mit eindeutig synodalem Schwerpunkt verweist auf
die Dominanz geistlicher wie weltlicher Ordnungsstrukturen im Kommunika-
tionsprozess.
Obgleich die Krondomäne Frankreichs nicht gesondert untersucht wurde,
trat eine Vielzahl an Reformkontakten auf französischem Boden zu Tage. Sie
steigerten sich kontinuierlich und dominierten sogar zu Beginn der 1060er Jahre.
Dies war einerseits bedingt durch den steigenden Autoritätsanspruch des
Papsttums, das direkt oder indirekt mittels Legaten auf die französischen Ver-

1485 Holzer, Netzwerke 2010, S. 161.
 
Annotationen