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Lorke, Ariane; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0315
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314

VI Kirchenreformer in der Mitte des 11. Jahrhunderts

machtpolitischen Ambitionen1521 1522 gab er den traditionellen Ansichten über die
Zulässigkeit von Verwandtenehen den Vorzug: Leo IX. untersagte ihm 1049
deswegen die Vermählung seiner Tochter mit Wilhelm von der Normandie1523
und kritisierte auch die Eheschließung Balduins (VI.) 1051 mit Richilde, der
Witwe des Grafen von Hennegau1524. Ob Heinrich III. aus machtpolitischem

1521 Balduin IV. von Flandern befand sich seit der Verstoßung seiner Mutter durch ihren zweiten
Gatten, Robert II. von Frankreich, in Opposition zum französischen Königtum, dehnte seinen
Einfluss aber vor allem nach Osten in Richtung des Reiches aus (vgL hierzu und zum Folgenden
van Meter, Baldwin 1997; Koch, Balduin IV. 1980; Ganshof, Flandre 1949, S. 31-36). Nach seiner
1007 erfolgten Unterwerfung übertrug Heinrich II. ihm zwei Lehen, so dass Balduin zum ersten
reichsflandrischen Grafen avancierte. Aus seiner Ehe mit Otgiva von Luxemburg, einer Nichte
Königin Kunigundes, ging sein Erbe Balduin V. hervor, der seinen Vater sogar selbst einmal aus
Flandern vertrieben, sich aber 1030 wieder mit ihm in Oudenaarde versöhnt haben soll. Der
Vater soll im gleichen Jahr Bischof Gerhard von Cambrai zum Abschluss eines Gottesfriedens auf
der Synode von Oudenaarde bewogen haben, s. oben Anm. 179. Balduin IV. engagierte Richard
von St-Vanne und bald auch dessen Schüler Poppo von Stablo-Malmedy für die moralische und
wirtschaftliche Reform der flandrischen Abteien. Auch wenn religiöse Motive dabei eine ge-
wisse Rolle spielten, betonten Schäfer und zuletzt wieder van Meter demgegenüber ein vor allen
Dingen landesherrliches Interesse Balduins. Zu beiden s. unten Abschnitte VI.3.8L Poppo und
Balduin kannten sich seit der Rückkehr des Mönches von einer Pilgerfahrt, so Schäfer, Studien
1991, S. 120f. - Richard hatte bereits um 1008 die monastische Disziplin auf Wunsch Balduins in
St-Vaast in Arras wiederhergestellt, während Poppo um 1012 die Ordnung der dortigen Be-
sitzverhältnisse übertragen wurde, vgL Vita Popponis 11, S. 300. Balduin unterstützte Poppo
militärisch, weil er „offensichtlich um seine Rechte als Landesherr" fürchtete, „wenn kleine
Adelige sich den Besitz der Abtei, als deren Vogt in weltlichen Dingen eigentlich der flandrische
Graf auftreten sollte, aneigneten", so Schäfer, S. 14. Derart erzwang er so von einigen milites die
Herausgabe widerrechtlich angeeigneten Klosterbesitzes. Aber auch schon die Absetzung Abt
Heriberts und die Einsetzung Richards 1008 soll van Meter, S. 134-138 zufolge vorrangig dem
gräflichen Expansionsstreben gegenüber Bischof Erluin von Cambrai gedient haben. Balduins
Unterstützung der monastischen Reform basiere auf Richards Fähigkeiten, brauchbare Lösun-
gen für die politischen und spirituellen Bedürfnisse des Grafen zu finden, so van Meter, S. 130.
Auch die gute Vernetzung Richards mit dem deutschen Königshof scheint ein wichtiges Aus-
wahlkriterium gewesen zu sein, vgl. van Meter, S. 138. Nichtsdestotrotz konnte Richard den
Grafen 1021 für eine - wenn auch weniger engagiert durchgeführte - Reform von St-Bertin
gewinnen: Richard brachte 1012 u. a. einen Brief „an alle Gläubigen" in Umlauf, der v. a. wohl an
Balduin gerichtet war. Darin wird von einer Vision eines Mönches berichtet, der Balduin eine
schreckliche Bestrafung im Jenseits voraussagt. Einzig durch die Reform der gräflichen Me-
morialstätte St-Bertin könne dies abgewendet werden. Richards Erfolg zeigte sich aber erst im
Jahr 1021, als Balduin Roderich von St-Vaast als Nachfolger des verstorbenen Abtes von St-Bertin
einsetzte. Vgl. dazu van Meter, S. 144-148.
1522 Nach Auseinandersetzungen mit Heinrich III. übernahm er als Onkel König Philipps I. von
Frankreich zwischen 1060 und 1067 die Regentschaft für seinen Neffen Philipp und avancierte
damit zu einem der einflussreichsten Herrscher in Mitteleuropa. Vgl. Boshof, Lothringen 1978, S.
80-82, 94-104, 118f.
1523 S. unten Anm. 2254. Boshof, Lothringen 1978, S. 100 stellte diese Maßnahme Leos allein in den
Kontext der machtpolitischen Auseinandersetzungen zwischen Gottfried von Lothringen und
Heinrich.
1524 Zu Balduin VI. selbst vgl. Boshof, Lothringen 1978, S. 79, zur Ehe S. 82, lOlf. und Corbet,
Burchard 2001, S. 261-264 mit Verweis auf die späte Quelle (1142-1147) Herimanni über de
restauratione 12, S. 279, Z. 51 - 280, Z. 3: „Quod audiens Leo tune temporis papa Romanns, (...) dixit,
 
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