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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — 1908-1909

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Pazaurek, Gustav Edmund: München und Darmstadt: eine Ausstellungsbetrachtung des Jahres 1908
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https://doi.org/10.11588/diglit.7712#0064
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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins.

gaben selbst groß gewordene glänzende Disponent mächtiger Massen; Riemer-
schmied ist dagegen der originelle Geist, der das Hausgerät zu beleben weiß,
stets sachlich und modern im besten Sinne des Wortes, also nicht nur in kon-
struktiver, sondern auch in dekorativer Beziehung; er verschmäht es in kon-
sequenter Weise, Anleihen an den Formenschatz früherer Zeiten zu machen.

In dieser Beziehung war in München gar manches zu sehen, was weniger
vorbildlich ist und für die weitere Stilbildung nicht in Betracht kommt. Damit
ist nicht so sehr der Raum 52 von O. Hupp gemeint, der im Buchschmuck
und neuerdings auch in Bauernkeramik bewußt mittelalterliche und Renaissance-
Elemente, aber immer in geistreicher Verarbeitung bringt, sondern hauptsächlich
die Empire- und Biedermeier-Details, die doch wohl mehr hätten zurückgedrängt
werden sollen. Das Ankleidezimmer von E. Haiger (Raum 23), der Musik-
raum (44) von Gabriel von Seidl nebst den unmittelbar folgenden Räumen,
ganz besonders aber der Raum 106 war ganz klassizistisch: der Entwerfer
dieses, Professor von Thiersch ist ein durchwegs antiquierter, konservativer
Herr, dessen Ehrenraum sich schon schlecht der ganzen Ausstellung einfügte.
Daß einige Architekten z. B. L. Troost (Raum 79 und 87) und P. Birkenholz
(Raum 80) ihre Anregungen schon in der Verfallzeit der blumenbegeisterten
Biedermeierei, nämlich in der Mitte des 19. Jahrhunderts suchen, ist geradezu
bedenklich.

Damit soll keineswegs die Verwertung botanischer Motive überhaupt
getadelt werden, ob sie sich nun in der Art des Musikzimmers von Adelbert
Niemeyer (Raum 38) repräsentiert oder sogar schon fast naturalistisch, wie
in dem Speisezimmer H. von Zedtwitz (Raum 104). Je mehr einzelne unserer
führenden Kunstgewerbler, wie namentlich Peter Behrens oder Kolo Moser,
die streng geometrische Ornamentform betonen, umsomehr kommt es uns zum
Bewußtsein, daß wir namentlich für weniger monumentale Lösungen keines-
wegs die schlichte Naturform entbehren können. Es hieße ja auch tatsächlich
die weitaus ergiebigste Quelle brauchbarer Schmuckformen verstopfen, wenn
wir auf das verzichten sollten, was in der Kunstsprache aller Zeiten und
sämtlicher Völker stets eine hervorragende Rolle gespielt hat, nämlich auf
das botanische Element.

Die größte Enttäuschung bereitete jedem feinsinnigen Besucher von München
die Kollektivausstellung Bernheimer (Raum 60). Eine derartige Konzession
an lokale Autoritätsverhältnisse hätte man unbedingt vermeiden müssen. Wozu
diese, an bevorzugter Stelle untergebrachte Halle mit den prächtigen alten
Gobelins und Teppichen, die die Hauptstärke dieser Firma ausmachen, aber
auch mit den zahllosen „Antiquitäten" von mitunter mehr als zweifelhafter
Herkunft. Die wenigen, wirklich guten Stücke dieses Raumes wären in den
ausgesprochenen, vorzüglichen Antiquitäten-Räumen (15 —18) richtig am Platze
gewesen. Unter den modernen Interieurs sind aber derartige, für den Adel wie
für den Protzen berechnete Dekorateur-Kunststücke übel am Ort; gerade diese
Richtung ist es ja, die wir in den reichen Kreisen am meisten zu bekämpfen
haben. — Auch nach einer anderen Seite hätte man sich eine Konzession
füglich ersparen können: Im Raum 181 nämlich waren allerhand Gschnas-
Objekte aus Blech und Gips vereinigt, wie Theaterrüstungen und ähnlicher
Krimskrams, der leider immer noch in Schloßhallen oder großen Dielen zur
Verwendung gelangt. Hier hätte eine scharfe Grenze gezogen werden müssen.
 
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