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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — 1908-1909

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Pazaurek, Gustav Edmund: München und Darmstadt: eine Ausstellungsbetrachtung des Jahres 1908
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https://doi.org/10.11588/diglit.7712#0065
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München und Darmstadt.

59

Aber gerade der Umstand, daß wir in der großen Ausstellung verhältnis-
mäßig so wenig zu bemängeln haben, ist der beste Beweis dafür, wie ver-
hältnismäßig vorzüglich sie gelungen war. —

Die bekanntlich kleinere Ausstellung von Darmstadt ist in dieser
Beziehung moderner, folgerichtiger. Es liegt auf der Hand, daß die jüngere
Kolonie in ästhetischen Dingen viel mehr auf dem linken, radikalen Flügel
steht, dagegen auch manches nicht ganz Einwandfreie wagt, was die abgeklärte
Ruhe Münchens nicht zugelassen hätte. Und doch enthält auch Darmstadt
einen ausgesprochen konservativen Raum, nämlich den Intarsiasaal für das
Isenburger Schloß von Paul Meissner; hier ist nicht nur die deutsche Renaissance-
Stimmung im allgemeinen festgehalten, selbst in Einzelheiten finden wir aus-
gesprochene Motive des 16. Jahrhunderts, wie z. B. die Lucretia in der deutschen
Bürgerhaube, wobei es sich nicht um sklavische Kopien, sondern um modernisierte
Variationen handelt.

Alles andere in Darmstadt ist durchaus modern, einiges sogar gesucht modern.
Der inzwischen leider so früh verstorbene Olbrich spielt bei dieser Ausstellung
schon nicht mehr die erste Violine; sein letztes Werk, das große Düsseldorfer
Warenhaus, hat ihn offenbar zu sehr in Anspruch genommen; sein Hochzeits-
turm ist nicht gerade sehr gelungen, man hätte von ihm konstruktiv besser
Durchgebildetes und obendrein auch Originelleres erwarten können.

Die führende Rolle hat diesmal in Darmstadt zum ersten Male Albin
Müller übernommen, der als Magdeburger Professor zwei Jahre zuvor in
Dresden künstlerisch vornehmere Räume zu schaffen wußte. Diesmal war er
offenbar zu sehr überlastet; er mußte in verhältnismäßig kurzer Zeit als Außen-
und Innenarchitekt den Löwenanteil der ganzen Ausstellung übernehmen und
noch zahlreiche kunstgewerbliche Sonderentwürfe herstellen. In seinem
Musiksaal (Raum 47), wie in den Fürstenbädern, kommt eine Prachtentfaltung
zum "Worte, die uns doch zu einigen Bemerkungen drängt. Gewiß, die
Freude am schönen, echten Material ist ein wesentliches Kennzeichen
guter moderner Werkkunst; aber mitunter — wir sprechen hier im allgemeinen —
steigert sich die Begeisterung für schöne Materiale geradezu zu einem
Rausche und Taumel. Man wüstet mit den edelsten Hölzern und anderen
teueren Stoffen und häuft die Effekte geradezu in barocker Weise. Wenn die
polierten Intarsien an allen Wänden und an der Decke in zahllosen Licht-
reflexen widerspiegeln, verliert das Auge jeglichen Ruhepunkt. Und wie nahe
liegt die Gefahr, in die schon mancher Kunstgewerbler geraten ist, daß die zu
vornehme, geradezu aufdringlich hervortretende Materialverschweildung über die
Erfindungsarmut, ja mitunter sogar über konstruktive Schwächen hinwegtäuschen
soll. Ein richtiges Maßhalten wäre hier für die Folgezeit dringend empfehlens-
wert. — Die Darmstädter Künstlerkolonie verfügt, so oft sie sich auch
schon erneuert hat, immer über verschiedene äußerst tüchtige Spezialkräfte,
die den einzelnen kunstgewerblichen Zweigen die primären Anregungen in
großer Fülle zuzuführen wissen. Bei der letzten Darmstädter Ausstellung
traten außer Albin Müller noch andere Künstler zum ersten Male in diesem
Kreise auf. Schneckendorf hat in seinen lüstrierten Kunstgläsern nur
quantitativ, nicht qualitativ, mehr geboten als in Dresden; ja, die Art und
Weise, wie er hierbei botanische Motive verwendet, ist geradezu wenig glück-
lich zu nennen. Eine ganz hervorragende Kraft ersten Ranges ist dagegen
 
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