Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — 1908-1909

DOI Artikel:
Pazaurek, Gustav Edmund: München und Darmstadt: eine Ausstellungsbetrachtung des Jahres 1908
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7712#0066
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
60

Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins.

der bestbekannte Keramiker Schar vogel, der uns auch diesmal wieder mit
trefflichen neuen Werken überraschte; in erster Reihe sind seine entzückenden
glasierten baukeramischen Reliefs zu nennen, denen eine gute Zukunft gewünscht
werden kann. Wir dürfen dabei das eine nicht vergessen: Scharvogel ist nicht
nur Künstler, sondern auch einer der besten Techniker, der die ihm anvertraute
Großherzogliche Keramische Manufaktur in jeder Beziehung mustergültig ein-
zurichten verstand. Ein großer Teil der Arbeiten Scharvogels ist von dem
Darmstädter Kolonisten, dem Bildhauer Jobst entworfen, der sich als Groß-
und Kleinplastiker in allen Materialien, namentlich aber auch in Bronze sehr
gut einführte und bereits wesentlich über seine Münchener Lehrzeit hinaus-
gewachsen ist. Eine überaus tüchtige Kraft ist auch der Graphiker Kleukens;
wenn in Hessen neuerdings die gesamten graphischen Gewerbe auf einer so
hohen Stufe stehen, dann ist dies hauptsächlich sein Verdienst, sowie das
Verdienst der auf diesem Gebiete berühmten, hessischen Firma Klingspor in
Offenbach. Von ganz besonderer Bedeutung sind die Arbeiten des Professors
Ernst Riegel, wohl derzeit des bedeutendsten Goldschmiedes, den Deutschland
aufzuweisen hat. Die Kollektion von Tafelaufsätzen, Ehrenpreisen und Prunk-
bechern von Riegel bildete einen Glanzpunkt der ganzen Ausstellung; aber auch
in vielen kleinen Arbeiten, wie in seinen Entwürfen für Schmuck oder für Schirm-
griffe zeigt der geniale Bildhauer, wie vorzüglich er es versteht, seinen über-
reichen Schatz an originellen Ideen dem Gewerbe und der Industrie des Landes
nutzbar zu machen.

In beiden Ausstellungen, sowohl in München als auch in Darmstadt, gab es
nebst den bereits gestreiften Kunstwerken zahlreiche andere Anregungen
von Belang, die jedoch unser Gebiet nur zum Teile berühren. In München
ist hier zunächst das Künstlertheater von Heilmann und Littmann zu nennen;
doch betreffen die entscheidendsten Eindrücke nicht so sehr das Gebäude,
welches die Seitenwände des Zuschauerraumes ungenützt läßt, als die zum
Teile höchst neuartigen und künstlerisch packenden Vorstellungen in demselben.
In Darmstadt sind es dagegen wieder die Arbeiterhäuser, die unser Interesse
in großem Maße in Anspruch nehmen und zwar nicht nur als gediegene
Lösungen streng sachlicher und doch dabei überaus anheimelnder Innen- und
Außenarchitektur, sondern auch als ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur
sozialen Frage der Gegenwart.

Wie schon erwähnt, beschränkten sich beide Ausstellungen, sowohl die in
München, als auch die in Darmstadt, ausschließlich oder sagen wir genauer,
fast ausschließlich auf ihre eigenen Künstler. Umso erfreulicher ist es für uns
Schwaben, daß wir trotzdem an beiden Ausstellungen sogar in hervorragender
Weise beteiligt sind. Professor Theodor Fischer hat ja inzwischen leider
wieder aufgehört, zu den Stuttgartern zu zählen und ist zum größten Leid-
wesen der Württemberger wieder in seine bayrische Heimat zurückgekehrt.
Aber während der Münchener Ausstellung zählte er noch zu den Stuttgartern,
und um so stolzer können wir infolgedessen darauf sein, daß ihm einer der
Ehrenräume der Ausstellung reserviert war. Es ist nicht Lokalpatriotismus,
sondern objektive Wahrheit, wenn wir zugleich feststellen, daß gerade der
Ehrenraum von Th. Fischer der interessanteste und künstlerisch wertvollste
war, also eine Art Bürgschaft dafür bietet, daß Fischer auch in München
dieselbe dominierende Stellung inne haben wird, wie in Stuttgart. Der Stutt-
 
Annotationen