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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — 1908-1909

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Pazaurek, Gustav Edmund: München und Darmstadt: eine Ausstellungsbetrachtung des Jahres 1908
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https://doi.org/10.11588/diglit.7712#0067
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München und Darmstadt.

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garter Nachfolger Fischers P. Bonatz ist wiederum auf der Darmstädter Aus-
stellung in hervorragender Weise beteiligt, indem er den großzügigen Schwur-
gerichtssaal für Mainz dort zur Ausstellung bringen konnte; die monumentale
Raumgestaltung und vornehme Linienführung, heben diesen Raum über alle
Säle gleicher Bestimmung heraus. Es soll auch nicht vergessen werden, daß
ein anderer Professor derselben Stuttgarter Hochschule mit trefflichen Arbeiten
vertreten war, nämlich der Maler und Graphiker Schmoll von Eisenwerth.

Ueber München und Darmstadt ist bereits ungemein viel geschrieben und
gedruckt worden; aber all dies kann uns kein Ersatz bieten, wenn wir die
Ausstellung nicht selbst zu sehen Gelegenheit hatten. Mag auch im einzelnen
das eine oder das andere mit mehr oder weniger Recht bemängelt werden,
so bleibt doch die Tatsache feststehend, daß das deutsche Kunsthandwerk im
Jahr 1908 bewiesen hat, daß es sich auf der richtigen Basis vorzüglich weiterent-
wickelt. Kein Urteil ist hiefür so schlagend, als das eines Vertreters der
französischen Nation, die bekanntlich noch vor einem Jahrzehnt auf dem Gebiete
der Kunstindustrie und des Kunsthandwerks fast allein tonangebend war. In
einem Bericht an den Stadtrat von Paris schreibt der bekannte kunstgewerb-
liche Plastiker Carbin den lapidaren Satz: „Das industrielle Sedan ist jetzt
da, und dem schließt sich das kunstgewerbliche Sedan an." Uns könnte ein
derartiges Urteil eines Berufenen gewiß stolz machen, da jedenfalls ein Körn-
chen Wahrheit darin steckt. Die Franzosen haben tatsächlich durch ihre
stereotype Abwandlung historischer Schmuckmotive ungemein viel von ihrem
früheren Kredit eingebüßt und das Heft aus der Hand verloren. Daß sie
jetzt schon zu uns kommen, um die weiteren Gründe dafür zu studieren, und
unsere künstlerische Selbständigkeit anerkennen, ist begreiflich. Aber uns darf
ein so stolzes Urteil keineswegs übermütig machen. Wir dürfen auch, in der
Siegesfreude nach den beiden gelungenen Ausstellungen nicht vergessen, daß
die Franzosen noch immer gewaltige traditionelle Vorzüge haben, von denen
uns ein Teil nicht schaden könnte. Was die natürliche Anmut und Grazie
anbelangt, ebenso in feinen Farbenstimmungen sind die Franzosen heute noch
unerreicht und wir würden uns keineswegs etwas vergeben, wenn wir in solchen
Beziehungen etwas von unseren westlichen Nachbarn annehmen wollten. Gerade
die Derbklotzigkeit und falsche Monumentalität mancher deutscher Erzeugnisse
könnte dadurch beseitigt oder gemildert werden. Gustav e. Pazaurek.
 
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