halten? Ift eine Kunft-Schule an fich nicht fchon ein Widerspruch? Läfjt wahre Bild 2 bis 5: emaille=arbeiten
1/ 1, 1. \ \ -> von Hans Warnecke und Erika Habermann
Kunlt lieh lernen?
Alle diefe häufig aufgeworfenen, fcheinbar fo berechtigten Fragen entftehen
aus einer falfchen Auffaffung vom Wefen der Kunft, vielleicht auch aus Ver-
wirrung. Weil die materielle Sicherung des Dafeins allen Menfchen heute fo
wichtig erfcheint, die Kunft fich aber zum Broterwerb nicht eignen will, fo wird
gefchloffen, dafj fie ihre Dafeinsberechtigung verloren habe. War es aber
jemals anders? Mozart ftarb im Armenhaus. Was hätten wir eingebüßt, wenn
die großen Meifter nach ihm, gewarnt durch fein Beifpiel, Apotheker, Bankiers,
oder fonft etwas Einträgliches geworden wären. Beweift nicht gerade derZu-
ftand unferer Kultur, dafj wir lernen follten, ohne Hoffnung auf Dank zu leben?
Je höher und geiftiger die Gabe, defto weniger fcheint fie zum Broterwerb
für den Urheber geeignet zu fein.
Wenn der grofje amerikanifche Blumenzüchter Luther Burbank in feinen Er-
innerungen ganz fchlicht erklärt, die fchönen Dinge habe der Menfch nötig
wie Speif und Trank, fo kann man fich nur wundern, warum wir dies Wort
faft als Offenbarung und nicht als Gemeinplatz empfinden. Haben wir denn
nicht felbft bis vor kurzem, wenigftens bis in den Krieg hinein, die Pflege des
Schönen als eine der höchften Lebensforderungen betrachtet? War es nicht felbft-
verftändlich bei Privaten und inVerwaltungen,für Kunftwerte Opfer zu bringen?
Aber dann kam die Erkenntnis der grofjen Verwirrung, des Formendurch-
einanders. Erft bei den Eingeweihten, dann bei der breiten Maffe. Man fah
plötzlich was das 19. Jahrhundert angerichtet hatte mit seiner Vergötterung
vergangener Werte und dem Mangel an eigener Schöpferkraft, mit feiner
Sucht zur Vereinzelung, zur Aufbaufchung und zum individualiftifchen Getue.
Es kam die Induftrialifierung, Kommerzialifierung, die Mobilifierung und —
die Kunft ging in Fetzen. Jetzt weif} kein Menfch mehr, wo ihre gültigen Werte
zu finden find. Die Folge davon ift Abkehr, Wille zum Gegenteil. Bei den
einen äurjert fich diefe Verneinung einfach in Gleichgültigkeit: für Kunft gibt
man kein Geld mehr aus. Lieber für feidene Strümpfe, für Kleider, Schuhe,
Maskenbälle, allenfalls fürs Kino. Bei den anderen, die mit der Kunft leiden,
die fich ihr trotj allem fchickfalhaft verbunden fühlen,bedeutet die Ablehnung
des Zuftandes nur ein Suchen nach dem Heilmittel. Dazu gehören auch die
Konftruktiviften, wenn fie meinen, nur die Erfüllung der reinen Zweckforde-
rungen könne zur Überwindung der Stilbarbarei führen.
Sie haben in vielem recht: Erfüllung des Notwendigen bewahrt wenigftens
vor Verlogenheit, vor Gewolltheit und Mache. Und nackter Zweckbau ift immer
noch beffer als modifches Getue. Aber fie haben Unrecht, wenn fie erklären,
nun gäbe es überhaupt nichts anderes mehr als nur noch die Schönheit der
Mafchine, als den Bau von Organifationen und den Rhythmus der Wirtfchaff.
Radikalismus diefer Art - und er äufjert fich oft mit gröfjter Leidenfchaft — ent-
fpringtnur der Kopflofigkeit, die durch den Anblick der Verwirrung bei vielen
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1/ 1, 1. \ \ -> von Hans Warnecke und Erika Habermann
Kunlt lieh lernen?
Alle diefe häufig aufgeworfenen, fcheinbar fo berechtigten Fragen entftehen
aus einer falfchen Auffaffung vom Wefen der Kunft, vielleicht auch aus Ver-
wirrung. Weil die materielle Sicherung des Dafeins allen Menfchen heute fo
wichtig erfcheint, die Kunft fich aber zum Broterwerb nicht eignen will, fo wird
gefchloffen, dafj fie ihre Dafeinsberechtigung verloren habe. War es aber
jemals anders? Mozart ftarb im Armenhaus. Was hätten wir eingebüßt, wenn
die großen Meifter nach ihm, gewarnt durch fein Beifpiel, Apotheker, Bankiers,
oder fonft etwas Einträgliches geworden wären. Beweift nicht gerade derZu-
ftand unferer Kultur, dafj wir lernen follten, ohne Hoffnung auf Dank zu leben?
Je höher und geiftiger die Gabe, defto weniger fcheint fie zum Broterwerb
für den Urheber geeignet zu fein.
Wenn der grofje amerikanifche Blumenzüchter Luther Burbank in feinen Er-
innerungen ganz fchlicht erklärt, die fchönen Dinge habe der Menfch nötig
wie Speif und Trank, fo kann man fich nur wundern, warum wir dies Wort
faft als Offenbarung und nicht als Gemeinplatz empfinden. Haben wir denn
nicht felbft bis vor kurzem, wenigftens bis in den Krieg hinein, die Pflege des
Schönen als eine der höchften Lebensforderungen betrachtet? War es nicht felbft-
verftändlich bei Privaten und inVerwaltungen,für Kunftwerte Opfer zu bringen?
Aber dann kam die Erkenntnis der grofjen Verwirrung, des Formendurch-
einanders. Erft bei den Eingeweihten, dann bei der breiten Maffe. Man fah
plötzlich was das 19. Jahrhundert angerichtet hatte mit seiner Vergötterung
vergangener Werte und dem Mangel an eigener Schöpferkraft, mit feiner
Sucht zur Vereinzelung, zur Aufbaufchung und zum individualiftifchen Getue.
Es kam die Induftrialifierung, Kommerzialifierung, die Mobilifierung und —
die Kunft ging in Fetzen. Jetzt weif} kein Menfch mehr, wo ihre gültigen Werte
zu finden find. Die Folge davon ift Abkehr, Wille zum Gegenteil. Bei den
einen äurjert fich diefe Verneinung einfach in Gleichgültigkeit: für Kunft gibt
man kein Geld mehr aus. Lieber für feidene Strümpfe, für Kleider, Schuhe,
Maskenbälle, allenfalls fürs Kino. Bei den anderen, die mit der Kunft leiden,
die fich ihr trotj allem fchickfalhaft verbunden fühlen,bedeutet die Ablehnung
des Zuftandes nur ein Suchen nach dem Heilmittel. Dazu gehören auch die
Konftruktiviften, wenn fie meinen, nur die Erfüllung der reinen Zweckforde-
rungen könne zur Überwindung der Stilbarbarei führen.
Sie haben in vielem recht: Erfüllung des Notwendigen bewahrt wenigftens
vor Verlogenheit, vor Gewolltheit und Mache. Und nackter Zweckbau ift immer
noch beffer als modifches Getue. Aber fie haben Unrecht, wenn fie erklären,
nun gäbe es überhaupt nichts anderes mehr als nur noch die Schönheit der
Mafchine, als den Bau von Organifationen und den Rhythmus der Wirtfchaff.
Radikalismus diefer Art - und er äufjert fich oft mit gröfjter Leidenfchaft — ent-
fpringtnur der Kopflofigkeit, die durch den Anblick der Verwirrung bei vielen
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