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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 1.1926/​1927

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Swarzenski, Georg: Um Max Beckmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.17290#0108

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UM MAX BECKMANN

von Georg Swarzenski

Nicht nur im Stil der Architektur und des lebensnotwendigen Gerätes kommt
der Geftaltungswille der Zeit zum Ausdruck, auch in der freien Kunft fchafft
er fich feine Form. Ob er fich auf diefem oder jenem Gebiete ftärker oder
fchwächer offenbart, unterliegt keinem Gefefj, und der Streit um die Superiori-
fät der einzelnen Künfte, der in früheren Jahrhunderten ein beliebtes Thema
äfthetifcher Diskuffionen war, follte heut verftummt fein. Wenn trotjdem gerade
die Architektur als fchöpferifche Manifeftation einer Zeit oder Gefellfchaft em-
pfunden wird, fo fpricht hier doch die Gebundenheit an Material, Technik,
Zweck, Wirtfchaft und allerhand foziologifche Gegebenheiten ftärker als in
den „freien" Künften. Deshalb mag die Wirkung dort finnfälliger und greif-
barer fein, die Aktualität ftärker und bewufjter empfunden werden, aber das
lagt noch nichts für das fchöpferifche Ingenium. Vielleicht ift für die Mehrzahl
der Menfchen der Unterfchied zwifchen einem alten und einem neuen Bilde
viel kleiner, als der zwifchen einer alten und einer neuen Architektur. Sicherlich
aber kann die Kraft und Eigenart der Gefinnung und Geftaltung in dem
Stückchen Papier einer Radierung fich ebenfo ftark und ftärker äufjern, wie in
einem Bauwerk oder Baugedanken.

Die Freiheit der Bildkunft von all den finnfälligen Bindungen, die dem archi-
tektonifchen Schaffen innewohnen, iff freilich auch ein Grund, dafj ihr fchöpfe-
rifcher Wert und Inhalt viel fchwerer zu erweifen ift. Wer nicht imftande ift, in einem
Bild,einerZeichnung,einerGraphik Beckmanns dieÄufjerung einer der wefent-
lichften geiftigen Kräfte unferer Zeit zu erkennen, wird fchwer vom Gegenteil
zu überzeugen fein. Es ift ein Denkfehler und eine methodifche Inkonfequenz,
wenn man von der Kunftwiffenfchaft und Kritik in einem folchen Falle Beweife
verlangt. Man kann allerhand erklären, — das Gute und das Schlechte, das
Wefentliche und Belanglofe. Man kann es unternehmen, den künftlerifchen
Inhalt eines Werkes in Worten zu umfchreiben. Mag man es mit oder ohne
Geift tun, es wird für den, der von dem Werke felbft ergriffen ift, überflüffig
fein und für die anderen langweilig oder gar lächerlich. Deshalb ift es viel-
leicht ausfichfsreicher, die Hemmungen darzulegen, die dem Verftändnis einer
fo mächtigen, neuartigen und eigenwilligen Erfcheinung entgegenftehen.
Vielleicht ift es möglich, das, was manchem den Zugang zu dielen Werken
erfchwert, als Irrtum zu durchfchauen und das wegzuräumen, was manchen
hindert, fich ihnen freimütig zu erfchliefjen.

Für den Verfchloffenen oder Widerftrebenden ift das Schwerfte die erfte Be-
gegnung. Er empfängt einen gelinden oder heftigen Schreck! Wir anderen
wiffen, dafj es nicht gerade die fchlechteften Kunftwerke find, die einen ge-
wiffen Schreck auslöfen. Doch ift diefer Schreck nicht etwa gewollte Wirkung.
Es ift nur die primitive Reaktion auf jenes Gegenübertreten der in fich ge-
fchloffenen, mit unheimlicher Sicherheit fich behauptenden Welt diefer Werke.

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