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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 1.1926/​1927

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Swarzenski, Georg: Um Max Beckmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.17290#0109

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B'ld 20: MAX BECKMANN, STILLEBEN

deshalb hat es wenig oder garnichts zu bedeuten, ob ein Bild Beckmanns auf diefen oder jenen agrelTiv oder gar
äbftofjend wirkt. Das Durchfehnitts-Auge und was fchlimmer ift, das künftlerifch verbildete Auge hat feine Gewohnheiten
und Bequemlichkeiten, die durch die Berührung mit jedem ftarken Kunftwerk erfchüttert werden. Wer hier ablehnt,
fall fich fragen, wie viele folche Erfchütterungen er fchon erlebt hat, und fich fagen, dafj jede diefer Erfchütterungen ihn
ftets bereichert haben wird.

Ich möchte den Radikalismus, der in Beckmanns Kunft fpricht, nicht abfehwächen. Aber man ift geneigt ihn allzufehr
zu betonen. Wenn die Geläufigkeit und erlernbare Verwendung der Formen zu ihrer Veräufjerlichung und Entfeelung
geführt hat, entftehen neue Formen. Das bedeutet weder ein beabfichtigtes Suchen nach etwas Anderem, Befon-
derem, Neuem, noch Traditionslofigkeit. überblickt man Beckmanns Arbeiten in ihrer ftetigen Entwicklung, fo fieht
rnan, wie nicht nur feine Anfänge mit der Tradition verknüpft find, fondern dafj auch das Ungeahnte und überrafchende
feiner heutigen Kunft im Allgemeingültigen mündet. Wer frofjdem fich von Beckmanns Kunft allzu unfanft ange-
packt fühlt, macht dann gern die ganze geiftige und foziologifche Zerriffenheit, die fogenannte künftlerifche Krifis und
Gebrochenheit unfererZeit hierfür verantwortlich. So bedingungslos der Künftler fich felbft gibt, bin ich aber über-
zeugt, dafj in früheren, alten Zeiten der fchöpferifche Geift oft viel fchroffere Zumutungen geftellt hat. Man vergegen-
wärtige fich einmal, wie revolutionär und krafj die barbarifche und altchriftliche Kunft auf die antike Welt, wie fpäter
ein Giotto, Mafaccio, Tintoretto, Greco und zahllofe Andere auf ihre künftlerifchen und unkünftlerifchen Zeitgenoffen
gewirkt haben müffen.

Aber fchon klingt ein anderer Widerfpruch einem entgegen: Er kommt von denen, die willig oder widerftrebend der
Energie der Geftaltung fich beugen und nun mit einem anderen Gefpenft nicht fertig werden: fie nennen es Unnatur!
Sie empfinden die Kraft der Form, aber ahnen nicht, daf} diefe nichts anderes ift und fein kann, als geftaltete Natur.
Was als „Natur und natürlich" empfunden wird, vermöchten freilich nur die Wenigften zu fagen. Meinen fie den
Scheinbar zufälligen Ausfchnitt, den ihre Netjhaut aufnimmt, — die Empfindung, die der Eindruck auslöft, — oder

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