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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 1.1926/​1927

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Swarzenski, Georg: Um Max Beckmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.17290#0111

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meinen fie das unendliche Leben, das wir als Natur erfühlen, - oder gar jenes
Schaffen und Geftalten felbft, das man notwendig als naturhaft und als eine
Naturkraft empfindet? Meinen fie das ewige Sein, das im Entftehen und
Vergehen immer Eins und immer vollendet und vollkommen ift, oder gera-
de die bunte Vielgeftaltigkeit, den Wechfel, das Nie-Vollendete und die Un-
vollkommenheit alles Irdifchen und Zeitlichen? Meinen fie das Beharrende,
Greifbare der Natur, demgegenüber alles Menfchenwerk ein Nichts, Willkür
und Ohnmacht ift, oder umgekehrt das Unfaßbare, Chaotifche, das erft durch
den Menfchen und die Souveränität feines geiftigen Schaffens greifbare Ge-
ftalt erhält?

Es bedarf hierfür keines Philofophierens. Wer einigermaßen mit Kunft zu tun
hat und fich etwas Rechenfchaft gibt über feine künftlerifchen Erlebniffe, muß
bald erkennen, daß die bildende Kunft einen konftanten Naturbegriff nicht
kennt. Was dort als „natürlich" empfunden wird, erfcheint hier als „unnatürlich",
— was jeweils als Abweichung von der Natur erfcheint, wirkt zu anderer Zeit
als ihre genauefte Darfteilung, — ja felbft der Kreis deffen, was gegenftändlich
zum Bereich der Natur gerechnet wird, ift denkbar verfchieden. Es gibt Zeiten,
denen das übernatürliche, Irreale als Natur erfcheint, und folche, die die
realften Dinge als jenfeitig, unwirklich, als Traum, Ahnung, Sehnfucht, ja als
Alb, feindfeelig und widernatürlich empfinden. Jede ftarke Kunft hat die ge-
gebenen Vorffellungen der Natur revolutioniert und wurde zuerft als un-
natürlich empfunden.

Beckmanns Kunft ift eine Auseinanderferjung mit der Welt und dem Leben.
Sie ift als Geftalfung viel wirklicher und eindeutiger als alle Schlagworte und
viel lebendiger als die Begriffe, mit denen man fie charakterifieren möchte.
Sie ift mit folcher Beftimmtheit zeitgemäß, daß ihre Entftehung nur heute denk-
bar ift, und hat doch fchon begonnen, fich zu einem Weltbilde zu fchließen,
welches fo feft zwifchen Vergangenheit und Zukunft fteht, daß man es als
bleibenden Beftand empfinden muß und von feiner abfoluten Realität über-
zeugt ift.

Das Reale und, glücklicherweife, fo Reelle diefes Weltbildes liegt nicht darin,
daß hier ein Saxophon und Grammo, ein idiotifches Haus oder Möbel, Karne-
valskram und Flugzeug erfcheinen. Liegt auch nicht darin, daß die Ereigniffe
und Zuftände, die wir zufällig und doch notgedrungen erleben, Krieg, Revo-
lution, Großftadt, Kampf und Krampf und Taumel, wie man gemütlich fagt,
im Kunftwerk „fich fpiegeln". Nein, - hier ift in einer Weife, wie es noch keiner
tat, die Umwelt, in der wir leben und die uns umklammert, aufgebaut. Hierzu
gehört vieles, was ein Atavismus als Gegenfafj zur Natur fieht, — nämlich
alles, wasmechanifchundkaufalmit dem Dafein verknüpft ift, und nicht nur das
triebhafte, fondern - horribile dictu - auch das intellektuelle Treiben unferer
Menfchheif.Erftaunlich: das„fote" Menfchenwerk, die Fabrikate und Inftrumente,
aber auch allerhand anderes, was weniger faßlich, vielleicht nur in feinem

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