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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 1.1926/​1927

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Swarzenski, Georg: Um Max Beckmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.17290#0114

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Rhythmus, lebensfeindlich oder feelenzerftörend erfcheint, iff hier in den Or-
ganismus des Lebens getreten, an ihn gebunden, tatfächlicher Beftandteil
der „Natur" geworden. Vielen erfcheint diefes Weltbild unmöglich oder ver-
ftandemäfjig konfluiert; fie mögen fich erinnern, dafj es auch einmal unmöglich
fchien, dafj ein Baum, ein Wald, eine grüne Wiefe im Bilde dargeftellt wurde,
und fich daran gewöhnen, dafj auch der fchaffende Künftler Verftand hat.
Inmitten diefer Umwelt ftehen die Menfchen Beckmanns, eingefpannt und
verftrickt, in ihrem Wefen eben nur ein Stück diefes Weltbildes. In ihrer Ohn-
macht und ihrer Kraft bedeuten fie nicht viel anderes, als die Dinge felbft,-
in diefem Gleichnis von Lebendigem und Starrem, Triebhaftem und Mecha-
nifchem,das ineinanderfich einbohrt und gegeneinander um dieBeherrfchung,
die Tyrannei des Lebens kämpft, — in einer Weife, wie es keine frühere
Zeit erlebt hat. Etwas hiervon darf man auch in der Einzeldarfteilung des
Menfchen, im Bildnis fehen. In diefer Reihe von Porträts ift die Grenze
zwifchen llluftration und Geftaltung am ftärkften fühlbar, am fchwerften zu
deuten, aber wohl aufs Klarfte zu beobachten. Wie ift es möglich, vor diefen
Verkörperungen verborgener und fichtbarer Menfchlichkeit an die imitativen
Künfte zu denken, die jeder Photograph überbietet?

Es handelt fich hier um die Subftanz diefer Kunft. Denn all das ift aus der
Vifion des Künftlers zu einer neuen, kaum vergleichbaren, reichen Harmonie
geftaltet. Die Dinge und Menfchen haben ihre illuftrative Bedeutung verloren.
Sie find Träger, Schauplatj und Tummelfeld des Lebens oder führen ihr eigenes,
abgerückteres, aber beziehungsreiches Dafein als Porträt oder Stilleben. Aber
immer find fie ganz und gar Bild geworden. Ihre Realität ift Form und in
ein Bild-Ganzes eingegangen, deffen Bau monumental empfunden ift. Freilich
geht es in diefer Welt nicht ohne grofje Spannungen ab. Vor ein paar Jahren
fchien alles geladen, explofiv, fich zu preffen und zu ftofjen, grotesk zu ver-
rücken und zu verbiegen, und man konftatierte: „Hopla, ein Erdbeben"!
Jetjt find fogar die Spannungen und fchliefjlich auch die Entfpannungen von
der rein künftlerifchen Erfcheinung gleichfam aufgefogen. Sie drücken fich
in den Formen aus, in der Beziehung der räumlichen Werte zu der Bildfläche
und in der beruhigten Kraft der farbigen Erfcheinung, die immer mehr zu
einer ideellen, fchönen Materie wird.

Die Überwindung der llluftration geht hier aber niemals auf Koften der Sub-
ftanz. Diefe Bilder und Graphiken künden, dafj der Maler, wie Wenige, von
der Wirklichkeit ergriffen ift. Wie jedes Ding für das Ohr des Dichters eine
Sprache hat, fo trägt jedes Ding für das Auge des Künftlers ein Geficht.
Hierauf beruht die Unmittelbarkeit und Tiefe feiner Kunft. Sie bietet keinen
Raum für äfthetifche und gedankliche Seitenfprünge und Spielereien. Sie ift
gleich weit entfernt von Romantik und Pofitivismus. Sein Weltbild ift viel
weniger beftimmt von Sehnfucht, Erinnerung, Hingabe, Reffentiment, als von
dem kategorifchen Willen und Zwang, das Chaos zu geftalfen. Und fokon-

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