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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 1.1926/​1927

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May, Ernst: Das flache Dach
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https://doi.org/10.11588/diglit.17290#0212

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das flache Dach geführt wird, dürfte vorwiegend auf zwei Urfachen zurück-
zuführen fein.

Die wirtfchaftliche Not der Nachkriegszeit machte die Gewerbe äußerft emp-
findlich für jede Maßnahme, die eine Minderung des Auftragsbeftandes
herbeizuführen geeignet war. So ift es kein Zufall, dal) die Bedachungsinduftrie
und das Bedachungsgewerbe fich durch die wachfende Verbreitung des
Flachdaches in ihrer Exiftenz bedroht fühlten und daß auch das Zimmerer-
gewerbe, das befonders durch die Verwendung von Betonflachdächern ge-
fchädigtwar, den Kampf aufnahm, um einer Beeinträchtigung feiner Intereffen
entgegenzutreten. Handelte es fich beim flachen Dache um nichts anderes
als eine vorübergehende Architekturlaune, fo wären die Einwände der Ge-
werbe zweifellos berechtigt. Der unvoreingenommene Beurteiler der Dinge
wird aber zu dem Ergebnis kommen müffen, daß eine Mode niemals die
moralifche Kraft und Zähigkeit befitjt, fich gegen fchärfften Widerftand Schritt
für Schritt vorzukämpfen, wenn fie nicht eben mehr ift, als nur vorübergehende
Laune, wenn ihr nicht jene ethifche Kraft innewohnte, die noch immer Vor-
ausfetjung war für den Sieg einer neuen lebendigen Ausdrucksform und für
die Überwindung altersfchwacher Stile oder des Stilchaos.
Die andere Haupturfache für die Bekämpfung dürfte in der hiftorifchen Ein-
teilung gerade der geiftigen Schichten der Völker liegen. Die Schönheit und
Zweckmäßigkeit des Steildaches für Städtebilder, die unter ganz anderen
Lebensbedingungen entftanden, wie die unferen, veranlaßt fie, das über-
kommene als unabänderliches Gut in die Zukunft hinüberretten zu wollen.
Sie fühlen nicht den Pulsfchlag der neuen Zeit, fie überfehen den Wandel
unferer Lebensgewohnheiten. Sie kämpfen um denTrockenboden im Steildach,
der doch unter dem Flachdach im Bedarfsfalle in hochwertigerer Befchaffen-
heit geboten werden kann, während in wachfendem Maße in den Groß-
fiedlungen dieWäfcherei zentralifiert wird und damit das Bedürfnis für Wafch-
küche und Trockenboden entfällt. Sie überfehen, daß die nervenzerrüttende
Arbeit der Menfchen in den modernen Siedlungszentren immer dringender
eines Ausgleiches durch planmäßige Pflege des Körpers bedarf, fodaß es
nicht länger zu verftehen wäre, wollten wir die reine Luft und die Ruhe auf
den flachen Dächern der ftädtifchen Miethäufer ungenutzt laffen und die
Menfchen zwingen, ihre Erholung im Staub und Geräufch der Straßen zu
fuchen. Sie rufen nach Heimatfchut5, nach Wiederherftellung der Harmonie
der Städtebilder und vergeffen, daß keine Bedachungsform fo fehr geeignet
ift, dem Chaos von Manfarddächern, Satteldächern, Pultdächern, gebogenen
Dächern u. dergl., die dazu noch in den verfchiedenften Farben und Tech-
niken ausgeführt werden und die Schönheit unferer Städte und Dörfer in
erfchreckendem Maße zerftört haben, entgegenzutreten und eine neue Ein-
heitlichkeit zu fördern, wie gerade das Flachdach. Sie vergeffen weiter, daß
die Zeit vorüber ift, in der die Faffade den Grundriß unterjochte, fie fühlen

Bild 2: SIEDLUNG BRUCHFELDSTRASSE.
Architekt Stadtbaurat May, Frankfurt am Main,
Mitarbeiter Architekt BDA. C -H. Rudioff

Bild 3: SIEDLUNG FRANKFURTS!NNHEIM.
Architekt Stadtbaurat May, Frankfurt am Main,
Mitarbeiter Architekt BDA. C-H. Rudioff

Bild 4: SIEDLUNG FRANKFURT:PRAUNHEIM.
Architekt Stadtbaurat May, Frankfurt am Main,
Mitarbeiter Baurat Kaufmann

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