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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 1.1926/​1927

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Döcker, Richard: Das flache Dach auf der Werkbund-Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.17290#0233

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auch eine Frage der Konftruktion und des Materials. Erft fchöpferifche Kräfte
haben aus diefen Überlegungen die Ableitung des formalen Geftaltungs-
willens hergenommen. Der Einwand, der vor allem bei diefem Problem häufig
gemacht wird, dafj etwa das Steildach befonders unferen klimatifchen Verhält-
niffen entfpräche und daß das Steildach faft eine typifch nationale und deutfche
Eigenart fei, dürfte ernfthaftem Nachdenken auch keine Sekunde ftandhalten.
Das fah vielleicht einmal fo aus!

Die Gründe zur Entfcheidung, ob Flachdach oder Steildach, liegen auf ganz
anderem Gebiet.

Die Freiheit der Grundrißentwicklung eines neuzeitlichen Wohnbaues oder
irgend eines zweckvollen Gebäudes führt zu Grundrißanlagen, die eben
ihre Zweckmäßigkeit und die Erfüllung heutiger Bedürfniffe nur dadurch er-
möglichen, daß fie fich gegenüber dem alten Grundriß unterfcheiden, der
meift viereckig, gefchloffen, begrenzt, paffend in die Schablone eines alten
Haufes und feiner Architektur, vor allem feiner Dachanlage im Vergleich zum
neuen Grundrifj, der gegliedert, geöffnet, unbekümmert um „Architektur"
und Dachlöfung ift. Beim neuen Grundrifj, der eben, wenn er neu fein foll,
die zweckvolle ungebundene Löfung fucht, wird es meiftens fchwierig oder
unmöglich fein, eine Steildachlöfung darüberzuziehen. Das unbedingte Ver-
langen nach dem Steildach bringt ohne weiteres die finnvolle, zeitgemäße
und zweckdienliche Löfung einer Grundrißanlage in Gefahr.
Die moderne Architektur drängt aus diefen Gründen in den allermeiften
Fällen zu Löfungen ohne Steildach. Wenn fich dagegen fog. Beftrebungen
einer Verfchandelung der Landfchaft und dergleichen zu Wort melden, fo
gäbe es für diefe Stimmen Hunderte von fchlagenden Gegenbeifpielen.
Im übrigen find Gefchmacksfragen fehr fchwierig zu entfcheiden.
Die Frage des Flachdaches ift alfo die der konduktiven Durchbildung und
die Löfung einer zeitgemäßen, zweckvollen, nicht beengten Grundrifjanlage.

Das Handwerk darf fich der neuen Bauweife nicht verfchließen, im Gegenteil,
es muß fich entfprechend auf die Forderungen der Jerjtzeit einftellen und ganz
befonders deren technifche Errungenfchaften fich zunurje machen.
Auf alle Fälle muß das Handwerk dem neuen Zuge der Zeit folgen, muß
praktifch an den Neuerungen mitarbeiten, muß aber feinerfeits auch verlangen,
daß feine praktifchen Erfahrungen zu Rate gezogen werden und muß feiner-
feits den Willen haben, neue Anregungen zu geben und felbftfchöpferifch
mittätig zu fein.

Schanz Dr. Spirj

Vorliljender Syndikus

Auszug aus dem Protokoll der Vorftands-Sifjung

der Handwerkskammer für den Regierungsbezirk Wiesbaden vom 25. Okiober 1927.
 
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