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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 1.1926/​1927

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Lurçat, André: Der Weg zur Terrasse
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https://doi.org/10.11588/diglit.17290#0237

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gangenen Jahrhunderte. Die Öffentlichkeit, die von der Einfachheit und den
vollkommen neuen Ausdrucksmöglichkeifen des Eifenbetons in den flachen
Abdeckungen überrafcht ift, hat dafür das Schlagwort von der orientalifchen
Geftaltungsweife geprägt. Ich greife diefes Wort „Orient" auf und will davon
fprechen, aber in einem gänzlich anderen Sinn. Wir kehren wirklich jefjt zu
einer uralten Tradition mit den neuen Mitteln unferer Technik zurück, und es
ift eine halb unbewußte Rückkehr zu den Quellen, zu der Erde möchte ich
lagen. Unfere heutigen fo einfachen Bauten erinnern an diejenigen Algiers,
Griechenlands, Italiens und felbft an diejenigen Südfrankreichs. Warum fich
darüber verwundern, da doch die mittelländifche Zivilifation für uns der voll-
kommenffe Ausdruck einer mahvollen Vernunft ift? Unfere beften neuzeitlichen
Geftalfungen, die vor allem funktionell und wahrhaftig find, Eigenfchaften,
durch die wir dem ewigen Sinn der Architektur wieder nähergerückt find,
haben uns auf ganz natürliche Weife zum Orient, der die Wiege unferer
Zivilifation ift, und feinen ewigen Formen geführt.

Was den Erfolg unferer Architekturbewegung betrifft, fo mufj damit gerechnet
werden, dafj unfere Gegner mit den Waffen des Nationalismus und der
Politik kämpfen, fie glauben, dafj die internationale Bewegung nach Verein-
heitlichung der architektonifchen Auffaffung für immer das charakteriftifche
Ausfehen eines jeden Landes, einer jeden Gegend zerftören wird; fie ver-
geben dabei, dafj in der romanifchen, in der gotifchen, in der Renaiffance
und in den darauffolgenden Epochen — obwohl auch die damaligen grofjen
Kunftbewegungen zweifellos international waren — doch jedes Land fchnell
der neuen Form feine befondere Eigenart aufprägte.

Man kann heute noch nicht den Zeitpunkt beftimmen, wann einmal die Raffen
mit ihrem fo verfchiedenen Temperament fich foweit werden gemilcht haben,
dafj ein allgemeiner und wirklich internationaler Ausdruck möglich wird.
Andererfeits mufj man mit Freude feftftellen, dafj noch immer jede grofje
Offenbarung des menfchlichen Genius fehr fchnell die politifche Grenze
eines Landes zum Wohle der gefamten Menfchheit überfchritten hat. Wir
können alfo nur wünfchen, dafj die Architektur, wenn fie einmal wieder zu
Offenbarungen gröfjten Stils gelangen lollfe, auch wieder internationale
Geltung erreichen möge.

Bild 18: SIEDLUNG HERMSDORF THÜRINGEN
Architekt Thilo Schoder, Weimar

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