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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 1.1926/​1927

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Neisser, Max: Das flache Dach vom Standpunkte der Hygiene
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https://doi.org/10.11588/diglit.17290#0242

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Wohnräumen die bekannten hygienifchen Mifjftände, von der Erkältungs-
bereitfchaft bis zur Säuglingsfterblichkeit, vom Verderben der Nahrungsmittel
bis zur Ungezieferplage. Wenn bei der neuen Bauweife der wärmefpeichernde
Dachboden wegfällt, fo liegen die Verhältniffe in den Räumen unmittelbar
unter dem Dach erheblich günftiger, wofern es fich um nicht zu tiefe, alfo gut
durchlüftbare Blocks und um nicht zu grofje und um nicht zu niedrige Räume
handelt. Unter diefen Umftänden wird von einer überhifjung der richtig be-
nutyen Räume (Lüftung!) nicht die Rede fein. Das zeigen uns die Erfahrungen
hier und erft recht in den füdlicheren Gegenden mit ihrem Sonnenhochftande
und ihrer viel geringeren Bewölkung; auch da fehlt der wärmefpeichernde
Dachboden. Wenn freilich unzweckmäßige Bedachung, niedrige Räume, man-
gelnde Durchlüftung zufammenkommen, dann kann es in füdlicheren Gegen-
den zu jenen üblen Verhältniffen kommen,die Cafanova von den Bleikammern
Venedigs fchildert.

Wie fteht es nun in der kalten Zeit, wenn der wärmefpeichernde Dachftuhl
wegfällt? Man könnte denken, dafj die kalte Zimmerdecke eine ähnlich un-
fympathifche Rolle fpielt, wie eine kalte Wand. Aber die Verhältniffe liegen
— ganz abgefehen davon, dafj das „flache Dach" durch befondere Bauftoffe
(z. B. Korkplatten u.dergl.) gegen Wärmefchwankungen gefchüfjt wird — ganz
anders: die kalte Wand ftrahlt auf den Menfchen Kälte aus, ohne darj die
Lufttemperatur merklich geändert ift, es enffeht alfo ein Kältegefühl, das nicht
durch die zu kühle Lufttemperatur hervorgerufen ift. Gleichwohl glaubt man,
diefem Kältegefühl durch ftärkere Heizung abhelfen zu können; durch diefen
Irrtum entfteht das hygienifch unfympathifchfte Merkmal des Wohnungsklimas,
die überhitjte Raumluft. Anders fteht es mit der Decke: kühlt fich die Zimmer-
decke ftark ab, fo wird auch die Luft im Räume kühler werden. Wir werden
dann ein Kältegefühl nicht nur infolge der Kälteftrahlung von der Decke her,
fondern auch infolge der kühleren Lufttemperatur haben; dann haben wir
guten Grund zu ftärkerer Heizung und es wird nicht die gefürchtefe überhitye
Raumluft entftehen.

Indeffen fpielen im Zimmer die Wärme ftra h I u n gen vom Menfchen aus zu
den kühleren Wänden bezw. der Decke eine viel bedeutungsvollere Rolle als
die Wärmeabgabe an die kühlere Zimmerluft. Diefe Wirkung der Wärme-
abftrahlung macht fich hauptfächlich geltend, wenn fie längere Zeit in gleicher
Weife beftanden hat, denn dann werden die normalen Schufjregulationen
des Körpers erfchlaffen und damit unwirkfam werden; fo wird fich im Zimmer
die Wirkung durch Abftrahlung hauptfächlich am fitjenden Menfchen (wenn
wir hier einmal der Einfachheit halber den liegenden Menfchen beifeite laffen
wollen) geltend machen. Aber auch hier ift die Decke im Vorteil gegenüber
der Wand: wir bieten ihr nur den Scheitel, der doch bei den meiften noch
mit einem natürlichen Wärmefchutj mehr oder weniger bedeckt ift, wir find
auch bei einer niedrigen Decke von 2,60 m doch noch etwa 1,25 m, alfo

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