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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 1.1926/​1927

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Frank, Josef: Das steile Dach ist ein Rest aus dem romantischen Zeitalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.17290#0257

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niffen. Die fich daraus ergebende Gleichheit ift einer der Gründe des reiz-
vollen Ausfehens alter Städte und nicht das Dach als folches. In regnerifchen
Gegenden baute man (teile Dächer, damit das Waffer fchnell abfliefjen konnte,
in fchneereichen, etwa Tirol und der Schweiz, flache, damit der Schnee nicht
zu ungelegener Zeit herunterfallen konnte. Der bewufjt moderne Architekt,
alfo feit der Renaiffance, zeichnete überhaupt kein Dach, fondern überlief}
es dem Zimmermann und Dachdecker, da es unwefentlich und felbftverftänd-
lich war. Noch in meiner Schulzeit wurden alle Projekte, da mein Lehrer der
klaffifchen Schule angehörte, mit dem Hauptgefims abgefchloffen. Das führte
felbftverftändlich zum flachen Dach und es ift deshalb kein Wunder, dafj es
in Wien und zwar durch Wagner, zum erften Mal bewufjt als architektonifches
Ausdrucksmittel verwendet wurde.

Das flache Dach war feit jeher bekannt. Seine Konftruktion war die auch heute
noch gebräuchliche, nämlich die Abdeckung mit Blech, da aber nur Kupfer
und Blei verwendet werden konnten, für den gewöhnlichen Fall zu teuer. Dafj
es aber als bevorzugte Form galt, geht daraus hervor, dah bevorzugte Ge-
bäude oft fo eingedeckt wurden und die übrigen fich bemühten, es wenigftens
äußerlich nachzuahmen, indem fie entweder das Hauptgefims an die Sfrafje
legten, oder, wenn doch Giebel da waren, diefe mit Attiken verkleideten.
Es liegt im Wefen jeder Romantik, das unwefentlichfte zuerft zu erkennen.
Unfer moderner Stil ift im wefentlichen ein klaffifcher, der zu allen mechanifch
eingeteilten und revolutionären Zeiten hervorgeholt wurde, mit dem Wefen
des Europäers innigft zufammenhängt und deshalb auch nie wieder ver-
fchwinden wird.

Das Programm für ein Haus wird immer falfch aufgeteilt. Der Bauherr fagt:
„Ich brauche einen Dachboden, denn ich brauche Platj für Gerümpel, Kanin-
chenftälle, Wäfchetrocknen, Fremdenzimmer etc". Er follte richtiger fagen: „Ich
brauche Platj für G. W. K. F. und dergl". Der Dachboden aber gab dem ro-
mantifch eingeteilten das Gefühl der Unendlichkeit, da fich in ihm immer
noch unbeffimmbare Pläfje für alles mögliche befanden. Dazu hatte er noch
in ftürmifchen Nächten, wenn die Pfannen klapperten, das angenehm-grufe-
lige Gefühl, dah nun über ihm die Gefpenfterchen hufch-hufch über die Träme
trappelten. Er fah in allen modernen Erfindungen immer noch eine Art von
Zauberei. Man betrachte etwa als Zeichen der Zeit, wie in dem albernen
Film „Metropolis" noch immer das Haus des Erfinders, das mit Mafchinen der
Zukunft vollgepfropft ift, mit E. T. A. Hoffmanfcher Giebelromantik ausge-
ftattet wurde.

Die Dachromanfik ift ein typifcher Ausdruck des individuell-materialiftifchen
Gei ftes vom Ende des XIX. Jahrhunderts, das feinen wahren Charakter ver-
bergen wollte; der Kommerzienrat in der Ritterburg.

Der wefentliche Zweck des flachen Daches, der leider nie genug betont wird,
ift die Wiederherftellung der Formeneinheit, indem den Häufern eine Mög-

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